Unbequeme Wahrheiten auf kleiner Bühne

13.09.2009 | Stand 03.12.2020, 4:40 Uhr

 

Eichstätt (EK) Die Politik ist ein harter Wettbewerb um den Wähler – nirgendwo wird das deutlicher als am Samstag auf dem Eichstätter Marktplatz. Seite an Seite stehen da die Informationsstände der Parteien: Die SPD ist da, die Grünen, die FDP, und seit 8.45 Uhr auch die ÖDP mit ihrer Bundestagskandidatin Elisabeth Winkler.

Die CSU, der "Platzhirsch", fehlt an diesem Vormittag – und doch ist sie in allen Köpfen präsent: Am Spätnachmittag wird auf dem Marktplatz der neue CSU-Star, Wirtschaftsminister zu Guttenberg sprechen, vor 1200 Menschen. Das sind Zahlen, von denen Winkler und ihre ÖDP nur träumen können. Einen Abend zuvor, am Freitag, hielten die Öko-Demokraten im Café Paradeis eine Wahlveranstaltung ab. Wie viele Besucher? "Zehn", sagt Winkler. "Das ist natürlich frustrierend." "Haben keine Kinder"

Jetzt am Marktplatz diskutiert sie gerade mit einem Ehepaar über den Klimawandel und die globalen Gefahren, die daraus erwachsen, spricht von Südseeinseln, die ein Raub des steigenden Meeresspiegels werden, von Flüchtlingsströmen, die 2050 durch die Welt ziehen werden. "Uns ist gar nicht klar, wie hoch der Anteil von Menschen ist, die das Meer direkt von der Türe haben." Und auf der Jurahochfläche, dort, wo Winkler im Wellheimer Ortsteil Biesenhard wohnt, da drohten durch den Klimawandel Orkane. "Wir müssen an unsere Kinder und Kindeskinder denken", warnt Winkler und erhält trocken zur Antwort: "Wir haben keine Kinder." – "Ja, das ist das Problem", seufzt die Kandidatin.

"Es geht um die Zukunft unseres Planten, und es ist tragisch, das es die Leute nicht interessiert", sagt sie später. Sie selbst ist jetzt 38 Jahre alt, und es war wohl die Atomkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986, durch die sie als 15-Jährige daheim in Niederbayern in der Nähe von Eggenfelden politisiert wurde. Ihr Vater, Gymnasiallehrer für Physik, brachte damals "einen Geigerzähler mit nach Hause, einen Riesenapparat." Es stellte sich schnell heraus, dass zum Beispiel die Johannisbeeren im Garten, die Elisabeth Winkler besonders gern aß, besonders stark belastet waren. Und die kleine Schwester durfte nicht mehr in den verstrahlen Sandkasten. Tschernobyl und die Angst vor dem Super-GAU habe ihre politische Einstellung geprägt, ebenso der Kalte Krieg, sagte sie. In diesem Moment kommt eine kleine Radlergruppe über den Marktplatz gerollt: Großes "Hallo!" und "So ein Zufall!" Freunde aus München sind im Altmühltal unterwegs, Gleichgesinnte. Alle sind sie in der Fokolarbewegung, einer internationalen christlichen Gemeinschaft, für die die Nächstenliebe eine zentrale Rolle einnimmt. "Die Fokolarbewegung hat mich auch geprägt", sagte Winkler, "ich bin schon mit 13 dazugekommen. Ich war als Kind schon sehr religiös, und bin es jetzt noch." Hier hat sie auch ihren Lebensgefährten kennengelernt, Klaus Loderer, der stellvertretender ÖDP-Kreisvorsitzender in Eichstätt ist und auch am Infostand dabei ist. Die Kandidatur ist damit irgendwie auch ein Familienprojekt. Das gilt auch im erweiterten Sinne für die ganze ÖDP. "Es ist familiär bei der ÖDP", sagt Winkler. Vor einer Woche erst habe man gemeinsam 130 Wahlplakate im ganzen Landkreis Eichstätt geklebt: "Da waren Kinder von Mitgliedern dabei und Jugendliche. Das sind engagierte Leute, gute Leute, die zu ihren Werten stehen."

"Wirklich Herzblut"

Es dauert nicht lange, und ein Besucher am Stand sagt einen Satz, den alle ÖDPler kennen: "Ihr kommt doch eh nicht über die Fünf-Prozent-Hürde." Winkler ist vorbereitet, und sie glaubt daran: "Man muss das wählen, wovon man überzeugt ist. Man darf nicht immer nur an die fünf Prozent denken, sonst schafft man es nie." Natürlich weiß Winkler, dass für sie kein Weg in den Berliner Bundestag führt. Es geht ihr vielmehr darum, in diesem Wahlkampf das Programm der ÖDP bekannter zu machen. "Dieses Programm ist für mich wirklich Herzblut", sagt Winkler. Man müsse den Menschen klar machen: "Wir haben diese Welt anvertraut bekommen. Wir haben Verantwortung dafür und müssen so leben, dass auch unsere Nachkommen eine Zukunft haben, nicht nur in Deutschland, sondern auch global." Winkler hat ein Jahr in den USA studiert, sie hat während ihres Studiums der Sonderschulpädagogik in München auch internationale Kindercamps betreut und meint: "Ich bin heimatverbunden, aber Probleme machen nicht an der Grenze Halt."

"Das schmerzt"

Wieder geht der Blick hinüber auf den bunten Eichstätter Wochenmarkt, wo schon in wenigen Stunden der CSU-Minister die Massen locken wird. "Das schmerzt natürlich", gibt Winkler zu. "Aber es gibt bei den Menschen eben dieses typische Gewinnermentalität: ,Wo alle sind, da wollen wir auch sein!’" Und kaum einer wolle unbequeme Wahrheiten hören: dass die Menschen, auch hier in der Region, anfangen sollten, ihren eigenen Lebensstil zu hinterfragen.

Gibt es Erfolge? "Es geht langsam und mühevoll", sagt Winkler offen. Aber neulich, da hielt Elisabeth Winkler in Biesenhard einen Vortrag: Sie als Neubürgerin, die noch nicht einmal zwei Monate im Dorf lebt. Es kamen knapp 40 Zuhörer, und die ÖDP-Bundestagskandidatin war begeistert. "Hier bei uns in Bayern sind viele nicht einmal bereit, sich eine andere politische Meinung anzuhören. Deswegen hat mich das in Biesenhard total gefreut."