Eichstätt
Wenn alle Zügel fallen

Nach 31 Jahren endet am 31. März die Mengenregulierung durch die Milchquote

24.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:30 Uhr

Ein Milchviehbetrieb wie aus dem Bilderbuch: Den Hof der Familien Heieis aus Workerszell teilen sich zwei Generationen in der Rechtsform einer GbR. Die sind auf dem Bild versammelt, und der Berufskollege Leonhard Neumeyer aus Rupertsbuch, der gerade zu Besuch ist, hat sich gemeinsam mit dem Betriebspraktikanten auch dazugesellt - Foto: aur

Eichstätt/Petersbuch (EK) Auch für die Milchbauern im Landkreis Eichstätt ist der kommende Dienstag, 31. März, ein denkwürdiger Termin: An diesem Tag endet in der Europäischen Union nach 31 Jahren die Milchquote. Die Milchproduktion wird ab sofort ohne staatliche Steuerung stattfinden.

Ortstermin beim Milchbauern Rupert Schneider in Petersbuch: Um seinen Küchentisch haben sich noch die Berufskollegen Herbert Heieis aus Workerszell und Leonhard Strauß aus Götzelshard (Gemeinde Pollenfeld) versammelt. Die Drei sind Milchbauern mit Leib und Seele, beschäftigen sich seit vielen Jahren mit den hoch komplizierten und oft ziemlich tückischen Mechanismen des weltweiten Milchmarkts – und sind im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) organisiert. Alle Drei verkaufen ihre Milch über die Milchliefergenossenschaft Eichstätt an die Molkerei Zott. Alle Drei haben in den vergangenen drei Jahrzehnten miterlebt, wie der Milchpreis durch die Quote mit Ach und Krach auf Kurs gehalten wurde, auch wenn dramatische Einbrüche nicht ausblieben. Jetzt, wo alle Schranken fallen, sind die drei Milchbauern ernsthaft besorgt. „Die Milchquote war ein sinnvolles Instrument“, sagt Schneider. Vor der Einführung der Quote habe es in Europa die berüchtigten „Milchseen und Butterberge“ gegeben, die Marktregulierung habe dieser verrückten Überproduktion ein Ende gesetzt. Dass der Preis trotzdem ums Jahr 2009 tief in den Keller stürzte, zeige nur, wie sensibel der Weltmarkt auch auf noch so kleine Überkapazitäten reagiere.

„Der Quote nachzuweinen bringt aber auch nichts“, stellt Schneider klar. Und vielleicht pendelt sich der Preis ja doch auf ein verträgliches Niveau ein. Heieis sagt: „Das stellt sich erst in einem oder in zwei Jahren raus, wie sich das entwickelt.“ Bei den Milchbauern im Raum Eichstätt überwiegen jedenfalls die besorgten Stimmen – da sind sich die Drei am Küchentisch sicher.

Milchquote hin, Milchquote her: Im Laufe der vergangenen 30 Jahre hat sich die Zahl der Milchbauern im Raum Eichstätt drastisch verringert. Bei der Einführung der Quote gab es noch 850 Lieferanten für die damals noch existierende Molkerei in Eichstätt, bis heute ist die Zahl dieser Milchliefergenossen auf 117 geschrumpft. Sicher wurden viele von den Aussteigern auch durch die günstige Möglichkeit bestärkt, die Milchquote ihres Hofes für gutes Geld an Berufskollegen weiterverkaufen zu können. „Aber der Strukturwandel hätte so oder so stattgefunden“, sagt Schneider. Audi ist auch für gelernte Landwirte eine attraktive Alternative. Im südlichen Landkreis Eichstätt gibt es schon jetzt fast keine Milcherzeuger mehr.

Die verbliebenen Milchbauern im Eichstätter Gebiet aber hätten nun meistens Viehbestände, die genau die richtige Größe für die Betreuung durch eine Familie hätten: 50 Kühe gelten da heutzutage als Richtwert, so Schneider. Mehr sei ohne zusätzliche Arbeitskräfte kaum zu machen. „Man will ja auch noch etwas vom Leben haben“, sagt Herbert Heieis. Er teilt sich seinen Hof in Workerszell mit der Familie seines Sohnes Josef – bei 100 Kühen passt die Faustzahl auch hier.

Die Gretchenfrage heißt nun: „Wird ein Bauernhof auch in Zukunft von 50 Kühen leben können“ Die Antwort steht und fällt mit dem Milchpreis. Wenn der wegen maßloser Überproduktion ins Bodenlose fallen würde, könnten nur noch die allergrößten Betriebe überleben. In Nord- und Ostdeutschland vor allem.

Leonhard Strauß hat rückblickend keine großen Erwartungen in die Selbstbeschränkung der deutschen Milchbauern: „Es ist verdammt viel Milch geliefert worden, bloß weil die Milch viel Geld gekostet hat.“ Und alle wissen, dass Milchbauern innerhalb weniger Monate ihre Produktion massiv aufstocken können. Das könnte sich schon im Sommer bemerkbar machen. Und was würde dann, auf einem zügellosen Markt, aus dem Preis? Der Milchpreis ist ein sensibles Ding: Im vergangenen Oktober bekamen die Bauern noch beachtliche 41 Cent für den Liter, „seitdem geht's bergab“, sagt Schneider. Momentan werden 33 Cent bezahlt. Damit können Eichstätter Familienbetriebe eigentlich nicht seriös wirtschaften. „Wir leben im Endeffekt von der Substanz“, sagt der Götzelsharder Strauß. Investitionen in Maschinen, Neubauten gar, würden verschoben, jeder hoffe, „dass der Bulldog nicht kaputt geht“. Der Landhandel könne ein Lied davon singen, „der merkt das in ganz Deutschland gewaltig“. Wer trotzdem größere Investitionen in neue Milchviehställe plant, geht voll auf Risiko: Der Milchpreis wird zum ungedeckten Scheck. Eine einzige, allerletzte Notbremse, hat die Europäische Union noch erhalten: Fiele der Preis unter 21 Cent, dann würde die EU intervenieren. „Ein bodenloser Preis“, stellt Rupert Schneider klar. Und dann blättert er kurz in seinem Ordner mit den monatlichen Milchrechnungen seit anno dazumal und tippt mit dem Finger auf eine Zahl: 68 Pfennige hat er im Jahr 1989 für den Liter Milch bekommen. Etwas mehr als heute – während sich ringsum alle Preise erhöht haben. „Nur wir treten auf der Stelle.“

Natürlich wissen die Drei, dass es auch Optimisten in ihrer Branche gibt, die das Ende der Milchquote als Chance sehen, als „eine Befreiung“ von planwirtschaftlichen Zwängen, und die nur darauf warten, endlich so viel Milch liefern zu dürfen, wie sie nur irgendwie können. Im Landkreis Eichstätt sind das allerdings eher wenige, vermuten die Männer am Küchentisch. Aber Genaues weiß natürlich keiner.

Es weiß überhaupt keiner irgendwas, ist die Bilanz des Gesprächs. Die Zukunftsaussichten? Reine Kaffeesatzleserei. Rupert Schneider sagt: „Unsere Höfe haben die richtige Größe, um wirtschaftlich zu arbeiten. Jetzt geht's darum, nicht irgendwelchen Weltmärkten zum Opfer zu fallen.“