Eichstätt
Spaß trotz Demenz: Alzpoetry im Altenheim

09.06.2010 | Stand 03.12.2020, 3:57 Uhr

 

Eichstätt (DK) Ihre Vorstellung klingt fast schon läppisch: "ich schreibe lyrik und prosa. und trete damit auf. bei lesungen und poetry slams." Aber wenn Pauline Füg live auf der Bühne steht, dann haut sie die Reime nur so heraus.

Die 26-jährige Wahl-Eichstätterin ist eine der angesagtesten Künstlerinnen der deutschen Poetry-Szene, seit kurzem sogar hauptberuflich. Und jetzt sorgt sie dafür, dass aus dem Altmühltal ganz neue Impulse ins Land hinausstrahlen: mit dem Alzheimer Poetry Projekt.

Der frischdiplomierten Psychologin fällt dabei die Rolle zu, vor allem Süddeutschland für ein neuen Konzept im Umgang mit Alzheimer-Erkrankten zu begeistern. Erfunden hat die Alzpoetry der US-Amerikaner Gary Glazner, der in den 1980er Jahren in New York den ersten nationalen Poetry-Slam auf die Beine gestellt hatte und damit als Mitbegründer des modernen Dichterwettstreits gilt. Glazner entwickelte mit der Alzpoetry einen neuen Ansatz, der Menschen mit Alzheimer und ähnlichen Erkrankungen dazu motivieren soll, Gedichte zu hören, zu lesen und sogar selbst zu schreiben.

Seit 2004 wird das Alzpoetry-Projekt erfolgreich in den USA praktiziert. 2009 startete das deutsche Alzpoetry-Projekt unter der Leitung des Marburger Schriftstellers Lars Ruppel und mit Unterstützung der amerikanischen Botschaft in Berlin – und Pauline Füg hat sowohl Gary Glazner als auch Lars Ruppel am kommenden Dienstag um 16 Uhr im Eichstätter Studihaus live auf der Bühne.

Denn Füg veranstaltet nächste Woche mit den beiden hochkarätigen Gästen ein zweitägiges Alzpoetry-Symposium in Eichstätt, von dem auch Angehörige von Demenzkranken und Pflegekräfte profitieren werden – nach dem ersten Symposium im Februar in Wetzlar ist es das zweite seiner Art auf deutschen Boden überhaupt. Die Chefin des Eichstätter Heilig-Geist-Spitals sei sofort mit im Boot gewesen, freut sich Pauline Füg. Die Leiterin des Spitals, Anneliese Neubauer, bestätigt: "Da halte ich sehr viel davon! Selbst wenn jemand noch so dement ist, wenn man Saite aus seiner frühesten Jugend berührt, dann gibt es eine Reaktion." Doch, die Spitalleiterin ist wirklich begeistert von der "Alzpoetry".

Und das ist kein Wunder, denn das Konzept klingt ebenso einfach wie überzeugend, wie Lars Ruppel erklärt: "Alzpoetry erreicht Menschen in späten Stadien von Demenz mit Gedichten, die sie in ihrer Kindheit gelernt haben. Sie erinnern sich an Worte und Zeilen aus diesen Gedichten und wiederholen diese zusammen mit dem Gruppenleiter."

Die knapp einstündigen Sessions sind dann aber weit mehr als bloßes Gedichte aufsagen. Der Rhythmus der Gedichte wird auf die Zuhörenden auch durch Körperkontakt übertragen. Durch den Einsatz von Hilfsmitteln, wie zum Beispiel Herbstlaub beim Vortrag eines Herbstgedichtes, wird das Gedicht auch sinnlich wahrgenommen – und dann auch während der Session weitergesponnen. Für die Demenzkranken selbst und für ihre Angehörigen ließen sich hier neue Formen der Kommunikation entdecken – und eine höhere Lebensqualität schaffen. Wissenschaftlich erforscht seien die positiven Effekte der Alzpoetry freilich noch kaum, räumt Pauline Füg ein.

Ein internationales Team aus Poeten, Pflegewissenschaftlern, Linguisten, Familientherapeuten und Psychologen arbeitet deshalb auch auf dem Symposium in Eichstätt an der Weiterentwicklung des Projekts. "Das ist alles noch so neu, da gibt es noch kaum Studien", meint Füg. Von Sessions, die sie jedoch schon selbst mitgemacht hat, weiß sie aber, "dass die Leute sich einfach besser fühlen, die haben Spaß dabei".

Spaß ist bei den "Spoken-Words-Perfomances" generell ein wesentlicher Faktor. Und so steht bei Alzpoetry auch der Humorist Heinz Erhardt (". . . kleine fade Made ohne Gnade. Schade!") gleichberechtigt neben Friedrichs Schillers "Freude schöner Götter Funken" und dem Kinderreim "Lirum, Larum, Löffelstiel".

Füg hat mit der Alzpoetry in Eichstätt noch viel vor: Die Bischofsstadt richtet im Juli 2011 die Oberbayerischen Kultur- und Jugendkulturtage aus – und auch hier klinkt sich die Poetin ein, und zwar auf allen drei thematischen Veranstaltungsebenen: Integration, Region und Jugend. Sie stellt sich vor, dass sie bei Workshops mit Schülern Sessions in den Altenheimen vorbereitet. Und nachhaltig wäre das Ganze auch noch: "Da hat jeder was davon: Die dementen Menschen, die Angehörigen, die Schüler und das Pflegepersonal – das ist eine win-win-win-Situation."