Eichstätt
Forscher, Sammler und Entdecker

23.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:10 Uhr

Tausende von Ordner und etwa 150 000 Dias zur Heimatgeschichte stapeln sich in mehreren Räumen im Haus von Rudi Hager. "Ich komme mit dem Archivieren nicht mehr nach", sagt er. - Fotos: Redl

Eichstätt (dk) Für Rudi Hager lassen sich viele Bezeichnungen finden: Forscher, Sammler, Entdecker, Bewahrer, Vortragsreisender. Hager, der heute seinen 75. Geburtstag feiert, ist aber vor allem eins: ein waschechter Eichstätter.

Ein Kalenderspruch, den er vor langer Zeit einmal irgendwo gelesen hat, ist ihm zur Richtschnur geworden: "Schändlich ist es, in der Heimat zu leben und sie nicht zu kennen." Nach diesem Satz des römischen Anwalts und Senators Plinius des Jüngeren (61 bis 113 nach Christus) erforscht der Eichstätter Rudi Hager seit mehr als 50 Jahren die Heimatgeschichte. Den Umfang seines Archivs kann der Träger der Bürgermedaille selbst nicht mehr zahlenmäßig vollständig umschreiben: eine Garage voll mit Aktenordnern Eichstätter Stadtgeschichte, einen Kellerraum voll gestellt mit Ordnern über die Landkreisgeschichte mit den einzelnen Gemeinden. Hinzu kommen unzählige Ordner mit verschiedenen Stichpunkten (Straßenzüge, Ereignisse, Zeitperioden, Themen) sowie tausende Fotos, fast durchwegs Dias. "Etwa 150 000", sagt er, wenn er nach deren Zahl gefragt wird.

Auch wenn seine Sammelleidenschaft nach gut 50 Jahren etwas nachgelassen hat, die Besessenheit mit seinen 75 Jahren einer Gelassenheit gewichen ist, ist sein Interesse an allem, was in der Heimat passiert, ungeschmälert. Aber: "Es fehlt der Platz, all das, was es noch zu sammeln gäbe, auch zu archivieren." Und vor allem zu ordnen, wieder auffindbar und damit auch einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ihm geht es, wie er sagt, darum, die Erinnerung und ein Wissen wachzuhalten, "was es einmal alles in der Stadt und im Landkreis (ob vor oder nach der Gebietsreform) gegeben hat".

Und dieses "alles" ist eine riesige Menge quer durch das ganze Alphabet und durch alle Zeiten: von der Archäologie über die Kelten und Römer bis zur aktuellen Zeitgeschichte, von der Altmühl über die Eisenbahn und Kriminalfällen, von Sagen und Legenden bis zur Zauberei.

Dabei belässt es Rudi Hager nicht nur beim Sammeln von Texten, Urkunden oder anderen Zeugnissen der Heimatgeschichte. Für ihn sind die Bilder dazu mindestens ebenso wichtig. Seit Jahrzehnten fotografiert er deshalb alles, was sich irgendwie verändert, sei es die Landschaft durch den Eingriff beim ICE-Trassenbau oder die Stadt durch den Bau der Spitalstadt. Seine erste wirklich gute Kamera war eine Leica. Kistenweise Ansichtskarten und ordnerweise Fotografien hat er so im Laufe der Jahrzehnte zusammengetragen und sie thematisch mit seinen Texten verbunden. Ein ungeheuerer Quellenschatz für Heimatgeschichtler.

Hager selbst spricht von einem "umfassenden Interesse" für alles, was irgendwie mit der Heimat zu tun hat, und das in den vergangenen mehr als 50 Jahren Forschungs- und Sammlerarbeit irgendwie immer breiter geworden sei. So breit, dass er heute mit dem Ordnen und Archivieren nicht mehr nachkommt.

Wenn man ihn nach seinen persönlichen Vorlieben befragt, muss er etwas länger überlegen. Dann nennt er die Menschen, die Eichstätt hervorgebracht hat und die der Stadt und auch dem Landkreis irgendwie ihren Stempel aufgedrückt haben. Nicht als die Persönlichkeiten, die sich in den Geschichtsbüchern wiederfinden, sondern als "Eichstätter Originale". Ihnen hat er ein Buch gewidmet. Darin enthalten sind Menschen, die im Alltagsleben so "mitgelaufen" sind und mit ihren "Macken" und Lebensläufen, ihrem Humor oder ihrem Tun und Leben irgendwie leicht von der Normalität abgewichen sind und so stadtbekannt waren.

Ganz besonders haben es Hager auch die Anekdoten, die Sagen und Legenden angetan. Lange vor der Sagensammlerin Emmy Böck und deren Veröffentlichungen hat Hager - oft nach mündlichen Überlieferungen - Abschriften angefertigt und sie fein säuberlich gesammelt. 13 Ordner davon stehen in seinem Archiv - bislang kaum beachtet. Überhaupt, und das passt zum Thema Sagen und Legenden: Rudi Hager erforscht besonders gerne mystische Plätze und Orte oder geht oft in Überlieferungen genannten geheimen Gängen und Höhlen nach. Das habe, so beschreibt er seine Leidenschaft, "immer etwas mit Geheimnissen, mit Geheimnisvollem und wohl nie ganz Erklärbarem" zu tun, was ihn hier so fessele. Hager: "Ich mag das Besondere, das, was man nicht so genau weiß."

Irgendwie unter diese Rubrik fällt eine weitere besondere Leidenschaft Hagers - auch wenn sie auf nüchternen Erkenntnissen beruht: die Luftbildarchäologie. In dieser Kategorie fasziniert ihn auf der einen Seite das Fliegen ("die Welt von oben anzuschauen, ist einfach genial"), auf der anderen Seite das plötzliche Auftauchen von Umrissen und Resten ehemaliger Gebäude, die eventuell dort vermutet wurden oder von denen man überhaupt nichts mehr weiß. Ihm und seinem Piloten Michael Hoedt ist schon so mancher Überraschungscoup gelungen, weshalb Hagers Tätigkeit als Luftbildarchäologe auch von der Wissenschaft hoch geschätzt wird. Der Archäologe und Eichstätter Kreisheimatpfleger Dr. Karl Heinz Rieder hat ihn deshalb als "Fliegendes Trüffelschwein" bezeichnet. Die Bekanntschaft mit Hoedt stammt noch aus den 70er-Jahren. 35 Jahre lang sind die beiden dann geflogen und haben die eine oder andere unter der Erde verborgene Sensation von der Luft aus zutage gefördert. Doch seit einiger Zeit kann Hager dieser Leidenschaft nur mehr verkürzt nachgehen. Michael Hoedt hat aus Altersgründen den Flugknüppel aus der Hand gegeben. Damit sei, so Hager, die Luftbildarchäologie für ihn wesentlich schwieriger geworden. Hoedt, mit dem Hager trotz 35-jähriger gemeinsamer Arbeit aus luftiger Höhe immer "per Sie" war, hatte als Pensionist stets Zeit, wenn das Wetter passte, um gute Luftaufnahmen machen zu können. Das sei jetzt vorbei. Jetzt, so sagt Hager, müsse er auf den Eichstätter Flugplatz gehen und darauf warten, dass er von dem einen oder anderen Piloten mitgenommen werde. Als Grund für die förmliche Anrede nennt Hager sein "bisschen Abergläubisch sein". Bei der Arbeit ist zu viel Vertrautheit nicht immer gut. Dafür ist er jetzt, nach Beendigung der gemeinsamen Fliegerei, mit seinem Piloten Michael Hoedt "per Du".

Hager ist in Stadt und Landkreis bekannt wie der sprichwörtliche "bunte Hund". Das rührt zum Teil noch aus seiner Jugendzeit, als der in der Sebastiangasse geborene Rudi nach acht Jahren Volksschule und drei Jahren Mittelschule eine Lehre als Kaufmann bei der BayWa in Eichstätt begann. Während dieser Zeit wurde er dann und wann auch nach Adelschlag in die dortige Zweigstelle des Lagerhauses geschickt und war zudem später als Baumaterialverkäufer für den Landwirtschaftshändler tätig. Damals, so erzählt er, habe er "unheimlich viele Menschen kennengelernt". Und dieses "Netzwerk", wie man heute sagen würde, hat ihm geholfen, vieles über seine Heimat zu erfahren. Wenn er als Forscher und Sammler zu den Menschen gekommen sei, sei er "auf offene Türen gestoßen".

Dieses Netzwerk hat Hager dann auch nach seinem Fortgang aus Eichstätt und beruflichen Wechsel zum Zoll in Nürnberg weiterhin gepflegt. Nach der Ausbildung am Nürnberger Zollamt im Oktober 1966 kam er als junger Zollinspektor an das Grenzzollamt Furth im Wald. Seine "wohl schönste Zeit", wie er sagt. "Wir haben beim Further Drachenstich mitgemacht und uns vom Zoll mit am Christophorusritt beteiligt. In Furth kannte uns nach und nach der Friseur ebenso wie der Straßenkehrer." Und als "Lediger" kam er viel herum und mit vielen Leuten ins Gespräch. Weitere Stationen führten ihn - immer am "Eisernen Vorhang entlang" - nach Ludwigstadt an den nördlichsten Punkt Bayerns, als Dienststellenleiter nach Neustadt bei Coburg und schließlich - nach seiner Heirat 1979 - wieder der Heimat näher nach Weißenburg. Die freie Zeit verbrachte Hager aber immer in Eichstätt in der Sebastiangasse, seinem "Rückzugsort". "Da gehöre ich hin, da fühle ich mich wohl."

Die Ehe sollte nicht lange dauern, auch wenn aus ihr ein Sohn hervorging. Schließlich folgte der Wechsel an das Zollamt in Ingolstadt als Amtsvorsteher. In dieser Tätigkeit ging er 2005 in Pension. Sein Engagement als "Hobby-Heimatforscher" wie er sich selbst nennt, hat Hager während seiner beruflichen Tätigkeit stets weiter verfolgt, nach seiner Pensionierung in verstärktem Maße.

Und noch etwas zeichnet Rudi Hager aus: sein Engagement für seine Heimatstadt. Als 2008 das 1000-jährige Bestehen der Stadt groß gefeiert wurde und die Bürger und Bürgerinnen aufgefordert wurden, selbst einen kleinen Beitrag zu den Feierlichkeiten zu leisten, war Hager sofort dabei. Seitdem zieht er bei Bedarf als Nachtwächter in einem von ihm selbst entworfenen und auf Trödelmärkten oder auch aus dem Fundus des Zoll erstandenen Kostüm durch die nächtlichen Gassen und erzählt seiner begeisterten Zuhörerschaft die Geschichte der Stadt und (Spuk-)Geschichten, Sagen, Legenden, Anekdoten, die dort im Umlauf waren oder zum Teil noch sind. Nach zehn Jahren nun wird er jetzt zu seinem 75. Geburtstag den Job als Nachtwächter an den Nagel hängen. "Es reicht", sagt er.

Als Heimatforscher geht ihm zwar nicht die Puste, aber der Platz aus. Und vor allem die Zeit. "Ich komme nicht mehr dazu, das alles zu ordnen", klagt er. So häufen sich Dokumente (von Zeitungsartikeln über Bilder über Dias bis hin zu historischen Dokumenten) auf Schreibtischen, Sofas und Sesseln in seinem Haus in der Sebastiangasse.

Seine Neugier dagegen ist immer noch grenzenlos. Seine Sammelleidenschaft - "ich befasse mich mit allem, was mit der Heimatgeschichte zu tun hat" - ist nach wie vor ausgeprägt, aber räumlich begrenzt. Und zwischenzeitlich treibt ihn auch die Sorge um, was einmal mit seinem gesamten Archiv geschehen soll, wenn er nicht mehr auf dieser Welt sein sollte. Da hofft er auch auf Mithilfe von der Stadt oder auf ehrenamtliche Unterstützung. Wichtig ist ihm, dass seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. So wie er sie jetzt schon jedermann auf Anfrage öffnet. "Es vergeht keine Woche, in der ich nicht nach diesem oder jenem Ereignis, nach diesem oder jenem Thema, nach diesem oder jenem Foto gefragt werde", sagt er. Und immer ist er bereit, sein umfangreiches Archiv zu öffnen und seinen Hobbyforscher-Kollegen mit Material zu helfen. - Oder dem EICHSTÄTTER KURIER, für den er seit Jahrzehnten eine unerlässliche Hilfe ist, wenn es um alte Fotos, um Themen der Heimatgeschichte oder auch um aktuelle Luftbilder geht.

Rudi Hager sieht sich selbst als "Anlaufstelle für alle Belange mit heimatgeschichtlichem Hintergrund". Nur bei der Kunst und der Musik, da setze es bei ihm aus, schränkt er ein. Als "Experte" sieht er sich selbst nicht. Das überlasse er gerne den Kollegen von der Wissenschaft. Aber auch die wissen, was sie an dem Hobby-Heimatforscher und seinem Tun haben. Nicht umsonst wird er immer wieder um Vorträge über vielfältigste Themen der Heimatgeschichte gebeten. Ob in der Stadt oder im Landkreis. Hager ist ein gefragter Referent - und irgendwie inzwischen selbst ein Original.