Mühlbach
Im Wunderland der Mühlbachquellhöhle

03.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:33 Uhr

Foto: DK

Mühlbach (DK) Er dringt an Orte vor, die nie zuvor ein Mensch gesehen hat. In unserer Zeitung schildert der Höhlenforscher Manfred Walter, wie er in der nahe Dietfurt gelegenen Mühlbachquellhöhle einen 1500 Meter langen neuen Abschnitt entdeckt und erforscht hat.

Es ist im vergangenen Jahr die größte Höhlenentdeckung in Deutschland gewesen: Im Nordwestgang der Mühlbachquellhöhle bei Dietfurt wurden kilometerlange bislang unbekannte Höhlengänge erforscht. Sie befinden sich hinter einer 150 Meter langen Siphonkette. Bei Letzterer handelt es sich um unter Wasser liegende Höhlengänge, die nur mit dem Tauchgerät durchquert werden können.

Ich bin 59 Jahre alt und erforsche als freiberuflicher Höhlenkundler und Mitentdecker der Mühlbachquellhöhle bereits seit dem Jahr 2007 die unter Wasser liegenden Fortsetzungen dieser Höhle. Ich arbeite unabhängig von der Karstgruppe Mühlbach mit dem Team der Arge Wasserhöhlenforschung (WHF) zusammen. Derzeit sind 38 Siphons mit einer Gesamtlänge von über 850 Metern in diesem Höhlensystem betaucht worden.

Seit 39 Jahren befasse ich mich als Autodidakt und begeisterter Höhlenforscher weltweit mit dem Phänomen der Höhlenbildung. Letztlich habe ich mich den Höhlen des Altmühltals verschrieben, in denen ich nun schon seit 28 Jahren forsche. Schließlich verschlug es mich als gebürtigen Nürnberger Metzgermeister nach Mühlbach, dort habe ich seit dem Jahr 2010 meinen Wohnsitz.

Nun gelang mir erneut eine spektakuläre Entdeckung. Schon am 8. August vergangenen Jahres konnte unser Team mit Unterstützung der Vereinskollegen aus der Höhlenforschungsgruppe Ostalb Kirchheim (HFGOK) den Forschungsendpunkt des Jahres 2006, einen Unterwasserversturz im Nordwestgang der Höhle, überwinden. Wochen zuvor war die Fortsetzung des drei Meter breiten und fünf Meter hohen Unterwasserganges nochmals genau untersucht worden. Gemeinsam mit dem Mediziner Salvatore Busche von der HFGOK wurde eine aufwendige und gefährliche Unterwassergrabung am Endversturz des 60 Meter langen Nordwest-Siphons 3 geplant.

Seitdem ich diesen Versturz im Jahr 2006 entdeckt hatte, beschäftigte mich der Gedanke, diese Stelle zu überwinden. Zehn Jahre sammelte ich daraufhin in den Höhlen des Altmühltals weitere Erfahrungen in der Unterwassergrabung. Über 650 Mal tauchte ich bei Sichtweiten von teilweise unter zehn Zentimeter in überflutete Höhlengänge. Dabei legte ich eine Strecke von mehr als 22 Kilometer zurück. Schon einmal gelang es mir, in der Mühlbachquellhöhle einen Unterwasserversturz im Nordgang auf sechs Meter Länge aufzugraben. Dieser Stelle gab ich den Namen "Maulwurfsiphon". Dahinter betraten wir Forscher zwei Kilometer riesige, unberührte Gänge.

Eine weitere bedeutende Entdeckung machte ich im Ostgang der Höhle. Nach der Erstbetauchung einer 85 Meter langen Siphonkombination entdeckte ich einen 400 Meter langen "Landweg", auf dem ich dem Höhlenbach bis zum "Hill-Billi-Verbruch" folgte.

Im Zuge des Höhlenforschungslagers 2016 im Altmühltal gelang es mir und Salvatore Busche während einer zehnstündigen Expedition, den verschütteten Unterwassergang freizugraben und einen mit Luft gefüllten Gang zu erreichen. Während ich in insgesamt acht Anläufen bei völliger Dunkelheit im eingetrübten Wasser die Höhlensedimente unter mir hinweg zurück in den großen Siphon schob, unterstützte mich Busche zehn Meter vor dem Ende des Siphons aus einer kleinen Luftglocke heraus, dem sogenannten "Seepferdchen-Pool".

Dann war es endlich so weit. Ich zwängte mich unter Wasser durch die 30 Zentimeter hoch und 50 Zentimeter breit ausgegrabene Röhre und schob mich in einen nur 40 Zentimeter hohen mit Luft gefüllten Gang. Salvatore Busche folgte mir kurz darauf. Beide saßen wir nun - völlig erschöpft und durchgefroren - zehn Meter weiter im "Wunderland der Mühlbachquellhöhle", wie wir es benannten. Vor uns lag nun ein acht Meter hoher Höhlengang mit riesigen Tropfsteinformationen, die bis an die Decke reichen. Wir legten unsere Taucherausrüstungen ab und erkundeten rund 400 Meter herrlich dekorierter Topfsteingänge mit vielen Verzweigungen. Dabei entdeckten wir einen weiteren Siphon, dem wir den Namen "Stargate", also Sternentor, gaben.

Am 17. Dezember kehrten wir beide an diesen Siphon zurück und fanden nach einer 16 Meter langen Tauchstrecke im völlig eingetrübten und schlammigen Wasser erneut einen mit Luft gefüllten Gang. Nachdem wir diesen Siphon durchtaucht hatten, legten wir die Taucherausrüstungen ab und machten uns auf den Weg in unbekanntes Neuland. Vor mehr als einer Million Jahren entstanden diese Höhlengänge in Folge der Eintiefung des Urdonautals, des heutigen Altmühltals. Nun wurden die Gänge zum ersten Mal von Menschen betreten. Mit äußerster Vorsicht bewegten wir uns durch die fragil versinterten Gänge. Die Versinterungen sind so überwältigend, dass man sich in ein Wunderland versetzt fühlt.

Wir entdeckten riesige Hallen und Höhlendecken mit Tausenden von bis zu 50 Zentimeter langen Makkaroni-Tropfsteinen. Es handelt sich bei diesen Höhlenteilen um die ältesten der Höhle. Zwei Seitengänge konnten wir vorläufig untersuchen, ohne ein Ende zu erreichen. Andere blieben unbegangen. Das derzeitige offene Ende des Hauptganges bildet der "Makkaroni-Friedhof" - zwei hintereinander liegende niedrige Räume, deren Böden mit Tausenden von abgebrochenen Makkaroni-Tropfsteinen bedeckt sind.

Diese wurden vermutlich damals während der Hochwasser-Katastrophe im Altmühltal im Jahre 1909 von der Decke abgebrochen. Damals durchflossen innerhalb von 30 Stunden rund sechs Millionen Kubikmeter Wasser die Mühlbachquellhöhle, um an der Quelle im Ort wieder auszutreten. Wie ich 100 Jahre später recherchieren konnte, hatte ein extremer Temperaturanstieg im Januar eine Jahrhundert-Schneeschmelze verursacht. Riesige Wassermassen hatten sich in der Polje, einer großen abflusslosen Bodensenke rund um Eutenhofen, zu einem sechs Quadratkilometer großen See gesammelt. Noch in der gleichen Nacht waren die zugefrorenen Dolinen in der Senke aufgebrochen und hatten den See durch die darunterliegenden Höhlengänge in Richtung Mühlbach entleert. Dort hatte das Hochwasser einen verheerenden Schaden angerichtet. Wir fanden organisches Material an den Tropfsteinen der Höhlendecke, das von der Hochwasserkatastrophe im Jahr 1909 stammen könnte.

Nach drei Stunden im Wunderland der Mühlbachquellhöhle kehrten wir an den Startpunkt zurück und machten uns für den schwierigen, 180 Meter langen Tauchgang durch die sehr engen, völlig eingetrübten Siphons fertig. Nach neun Stunden verließen wir ohne Zwischenfall und überglücklich die Höhle. Mit den neu entdeckten Höhlenteilen von über 1500 Metern Länge überschreitet die Mühlbachquellhöhle die Zehn-Kilometer-Marke.

Unsere großartigen Forschungserfolge und die wunderschönen Erlebnisse unter Tage verdanken wir Erforscher der Mühlbachquellhöhle vor allem der Familie Betz. Sie unterstützt uns schon seit 1998, dem Beginn der langjährigen Grabungsphase, die schließlich zur Entdeckung der Mühlbachquellhöhle führte. Nun stehen der Arge Wasserhöhlenforschung mit Unterstützung der HFGOK die monatelange Planaufnahme und Erforschung der neu entdeckten Höhlenteile bevor. Weitere Infos findet man im Internet unter www.wasserhoehlenforschung.de.