Ingolstadt
Bewegende Erfolgsgeschichte

Der Iraker Munir Mubdir Jassem musste einst aus seinem Land flüchten, heute ist er in der Region als Tischtennistrainer erfolgreich

13.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:18 Uhr

Klare Anweisungen: Die Ratschläge des Ingolstädter Tischtennistrainers Munir Mubdir Jassem nehmen seine Schüler gerne an. - Fotos: Mundt

Ingolstadt (DK) Es gibt kaum einen Tischtennisverein in Bayern, den Munir Mubdir Jassem nicht kennt. Der Iraker machte sich in den vergangenen Jahren weit über die Grenzen Ingolstadts hinaus einen Namen als Trainer. Doch der 50-Jährige hatte nicht immer Erfolg. In seinem Heimatland wurde er misshandelt.

Ein Tischtennisball nach dem anderen rauscht über das Netz. In einem Rhythmus, dass das Auge kaum noch mitkommt. Als Munir Mubdir Jassem im Sonderpädagogischen Förderzentrum in Ingolstadt ein Show-Training veranstaltet, ist er in seinem Element. Er jagt seine Schützlinge – unter anderem Lena Kramm vom TSV Unsernherrn und Pit Lederer vom FC Gerolfing – von einem ins andere Eck. Und die Schüler sind begeistert. „Er schaut einen an und weiß, was man noch verbessern muss“, schwärmt Kramm, die seit ihrer Geburt halbseitig gelähmt ist und deshalb nur mit der linken Hand spielen kann. Die gebürtige Pfaffenhofenerin greift seit sieben Jahren zum Tischtennisschläger. Ihr Trainer seit jeher ist Jassem.

Der Iraker lebt seit zehn Jahren in Deutschland, in Ingolstadt wurde er vor zwei Jahren heimisch. Doch Jassem kam nicht freiwillig nach Deutschland. Weil der damals 37-Jährige nicht für sein Heimatland zur Qualifikation für die Asienspiele antreten wollte, lauerten ihm Schergen des irakischen Regimes um den damaligen Präsidenten Saddam Hussein auf und brachen ihm den Arm. „Ich habe damals Udai Hussein, dem Sohn Saddams, gesagt, dass es sportlich keinen Sinn mehr hat, dass ich an dem Turnier teilnehme“, sagt er. „Und ich dachte, er hat das verstanden. Doch dann wurde mir der linke Arm gebrochen.“ Noch heute erinnert ihn eine Metallplatte im linken Oberarm an den Angriff. Diese behindere ihn aber nicht, wie er versichert. „Wenn ich sie entfernen lassen würde, könnte ich zehn Monate lang nicht spielen. Ich habe extra einen Arzt gefragt, und der hat mir gesagt, dass ich die Platte drin lassen kann.“ Vielmehr sei er froh, dass er noch lebt. „Was mir damals passiert ist“, sagt er, legt eine Pause ein und ergänzt: „Ich bin glücklich, dass das vorbei ist.“

Bis zu dem Angriff fehlte es Jassem in seiner Heimat an nichts. Als Nationalspieler habe er „nahezu perfekte Bedingungen“ vorgefunden. „Es ging uns allen gut.“ Der Iraker war ein gefragter Mann. 1989 wurde er Arabischer Meister. Zwei Jahre später startete er seine Trainerlaufbahn. Er war Nationaltrainer in seinem Heimatland, in Jordanien und Syrien – kehrte aber immer wieder in den Irak zurück. Bis er nach dem Übergriff entschied, das Land zu verlassen.

„Aber wohin“, stellte er sich damals die Frage. „Das Glück und der Zufall“, sagt Jassem, hätten ihn 2003 über Vorderasien letztlich nach Deutschland geführt. „Es war schwierig, zu flüchten“, erinnert er sich. Doch nicht nur das. Rund 5000 US-Dollar musste er für seine Freiheit zahlen, um in Europa ein neues Leben zu beginnen. „Ich musste mit 40 Jahren wieder bei null anfangen. Wer schafft das schon in einem neuen Land und mit einer neuen Sprache? Ich hatte gar nichts.“ Zwar sei er 1989 bei einem Turnier schon einmal in Dortmund gewesen. „Daher wusste ich schon ein bisschen, was mich erwartet.“ Der Sprache war er deswegen aber noch lange nicht mächtig.

Da Jassem aber relativ schnell auch hierzulande Trainerstunden gab, lernte er ebenso schnell deutsch. „Ich habe früh mit dem Nachwuchstraining begonnen und habe die Sprache dann auch dank der Kinder und Jugendlichen gelernt. Ich bin durchaus stolz, dass ich das geschafft habe“, sagt er. „Es könnte aber besser sein“, ergänzt der 50-Jährige und lacht.

An seine Vergangenheit im Irak verschwendet er kaum einen Gedanken. Seit seiner Flucht ist er kein einziges Mal zurückgekehrt. Zumal seine Geschwister auch ausgewandert sind. Seine Eltern sind bereits gestorben. „Die Probleme von vor ein paar Jahren habe ich hinter mir gelassen, jetzt blicke ich nur noch in die Zukunft. Deutschland ist meine Heimat geworden. Hier kann ich mich sicher fühlen. Ich hatte hier die Möglichkeit, das zu machen, was ich jetzt bin.“

Das heißt aber nicht, dass er sich nicht weiter Sorgen um seine Heimat macht. „Es tut mir leid für mein Land. Es ist in all den Jahren nicht besser geworden. Der Irak ist kaputt. Die Probleme kamen durch die Einmischung der Politik.“

Rund 18 Vereine betreute und betreut Jassem heute. Neben dem MTV Ingolstadt war er in der Region auch beim SV Buxheim, dem TSV Etting und dem SC Lenting tätig. Sein Fachwissen gab er zwischenzeitlich auch an angehende Trainer beim Bayerischen Tischtennis-Verband weiter – und wird das im kommenden Jahr wieder tun. Sein großes Ziel ist aber ein anderes. „Ich habe den Traum, dass die Region bekannter für den Tischtennissport wird“, sagt er. Um diese Vision wahr werden zu lassen, plant er ab 2014 den Aufbau eines Leistungszentrums in Ingolstadt. „Dafür brauche ich natürlich auch die Unterstützung der Vereine.“ Insgeheim träumt der langjährige Nationaltrainer aber von der Rückkehr auf die internationale Bühne. „Mein Ziel ist irgendwann einmal, im Team der deutschen Nationalmannschaft dabei zu sein. Die Verantwortlichen dort kennen mich schon. Aber noch ist das Zukunftsmusik“, sagt er.

Bis dahin hat er unter anderem die Aufgabe, gemeinsam mit Kramm deren lang gehegten Wunsch zu erfüllen. „Mein Ziel sind die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro. Und wenn ich es bis dahin nicht schaffe, dann will ich im Jahr 2020 nach Tokio“, setzt sie sich ehrgeizige Ziele. Aktuell ist die Nachwuchsspielerin die Nummer neun in der Weltrangliste. Um sicher an der Copacabana dabei zu sein, wäre ein Platz unter den sechs besten Spielerinnen der Welt Pflicht.

Laut ihrem Trainer hat die Pfaffenhofenerin aber noch viel Zeit für ihre Entwicklung. „Um ein guter Spieler zu werden, braucht man Geduld. Es dauert immer ein wenig“, sagt er. Und wer weiß, wann Jassem das nächste hoffnungsvolle Talent aus der Region präsentiert.