Schwimmbecken statt Couch

08.09.2009 | Stand 03.12.2020, 4:40 Uhr

Nicole Bretting quält sich derzeit für den Ironman auf Hawaii. Ziel: Ein Platz unter den ersten Zehn (W 35).

Hohenwart (SZ) Nein, ein oberbayerisches Freibad ist nicht der Pazifik. Aber 3,8 Kilometer sind an beiden Orten gleich lang. Höllisch lang, wenn man sie schwimmenderweise zurücklegen will. Nicole Bretting hat genau dies wieder am 10. Oktober vor – und möchte anschließend noch 180 Kilometer mit dem Rennrad fahren sowie die Marathonstrecke von 42,195 Kilometer laufen. Ironman auf Hawaii nennt sich das Ganze, gilt als Mutter aller Triathlons, und nur die Besten überhaupt dürfen hieran teilnehmen.

Nicole Bretting ist die Beste, zumindest auf europäischer Ebene und in ihrer Altersklasse W 35. Hier holte sich die Hohenwarterin gerade erst im Juli den EM-Titel, löste dadurch das Ticket nach Hawaii. Und muss deswegen nun trainieren. Eisern trainieren, seit Anfang August gleich sieben Mal wöchentlich.

Nichts ist’s nach einem harten Tag als Versicherungsangestellte nun mit Couch, Pantoffelkino und süßem Nichtstun. Vielmehr ruft das Wasser – beziehungsweise eine einsame Bahn im bereits gästeleeren Pfaffenhofener Freibad. Die Trainingspläne, aus Büchern sowie von Coach Klaus Ruscher erstellt, können wahrlich gnadenlos sein.

Da bleibt keine Zeit für die Schönheiten des Abendrots, die 37-Jährige muss sich zunächst einmal am Beckenrand mit ihrem Neoprenanzug beschäftigen. Das gute Teil in Windeseile anzuziehen – wahrlich eine Kunst, die wohl nur Experten beherrschen. Gerade einmal fünf Minuten benötigt Nicole Bretting dafür, und in Hawaii darf sie einen solchen überhaupt nicht verwenden! Das schöne Pazifikwasser dort ist wärmer als 24,9 Grad Celsius, also sind nur Schwimmanzüge erlaubt – solche, wie zuletzt bei den Weltmeisterschaften in Rom, ohne Arme, und dünner als die "Neos". Nur gut, dass die Hohenwarterin inzwischen einen Schwimmbekleidungshersteller zu ihren Sponsoren zählen darf, genauso wie einen Hersteller von Sportbrillen und Helmen. Zudem unterstützt sie ihr Arbeitgeber finanziell, und mit einem Triathlon-Sportbekleidungshersteller befindet sie sich in konkreten Verhandlungen. Was so ein EM-Gewinn doch alles ausmachen kann.

An diesem Abend hilft er ihr allerdings nichts. Also gewissenhaft die himmelblaue Bademütze aufsetzen und rein ins Wasser – ganz unspektakulär, ohne Sprung vom Startblock. Schnell noch einen in Plastik eingeschweißten Spickzettel günstig am Beckenrand positionieren, die Stoppuhr am linken Unterarm starten – und endlich geht es los für Nicole Bretting. Ehemann Reinhard, selbst begeisterter Triathlet und 2009 sogar Finisher beim legendären Ironman in Roth, trainiert an diesem Abend ebenfalls mit. Das tut er so oft wie möglich, quasi als moralische Unterstützung für seine Gattin, auf die der 40-Jährige natürlich mächtig stolz ist. Und die er bei all ihrem Ehrgeiz ab und zu auch ein bisschen einbremsen müsse, wie er grinsend erklärt.

So zieht Nicole Bretting jetzt nicht ganz einsam ihre Bahnen, wählt hin und wieder verschiedene Schwimmstile, verschärft das Tempo und geht wieder runter vom Gas – alles genau nach Plan beziehungsweise nach Spickzettel. Und es ist ruhig im Freibad. Nur die Wellen, die über den Beckenrand platschen, sind zu hören.

Nein, die 37-Jährige ist nicht zu stoppen – das große Ziel vor Augen, auch in Hawaii gut abzuschneiden, in ihrer Altersklasse W 35 vielleicht sogar unter den ersten Zehn zu landen. Hierfür quält sie sich – an diesem Abend eben im Wasser, ansonsten beim Laufen oder mit dem Rennrad auf den Straßen rund um Hohenwart. Stundenlang. Tag für Tag. Mit dem Fahrrad ist er jüngst sogar ein Unfall passiert, Nicole Bretting stürzte böse – und zog sich mit viel Glück "nur" Schürfwunden zu.

Am 1. Oktober ist Abflug nach Hawaii, am 10. Oktober der Wettkampf dort, und Ehemann Reinhard wird dann am Streckenrand wieder deutlich nervöser sein als Nicole als Starterin. Danach machen die Brettings übrigens eine Woche Urlaub dort – wo es so ganz nebenbei auch viel schöner ist als in einem oberbayerischen Freibad.