Friedrichshofen
Nichts trinken, nichts essen

Murat Bezgin vom VfB Friedrichshofen unterbricht als gläubiger Muslim nur an Spieltagen den Ramadan

26.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:51 Uhr

Wasser ist derzeit während der Tageszeit für Muslime tabu. Bis zum 7. August begehen sie noch den Ramadan - darunter auch zahlreiche Amateurfußballer aus der Region.

Friedrichshofen (DK) Fußballplatz statt Freibad: Für viele Fußballer aus der Region startet an diesem Wochenende die Saison. Die unerträgliche Hitze macht den Auftakt zur Tortur. Besonders leiden müssen die Muslime unter den Amateurspielern – sie begehen derzeit den Fastenmonat Ramadan.

Obwohl sich die Sonne hinter aufziehenden Gewitterwolken versteckt, ist es an diesem Donnerstagabend immer noch schwülwarm. Exakt 29,5 Grad zeigt das Thermometer an. Der Schweiß steht auf der Stirn, die Haut klebt. Trainer Manfred Kroll kennt trotzdem kein Erbarmen. Der Trainer des VfB Friedrichshofen scheucht seine Mannschaft zum letzten Mal vor dem Auftakt in die neue Saison der Kreisliga Donau/Isar 1 an diesem Wochenende über den Trainingsplatz an der Ochsenmühlstraße. Der 33-Jährige ordnet aber auch immer wieder Getränkepausen an. Dann nehmen die Amateurfußballer einen ordentlich Schluck aus der Wasserflasche – bis auf einen: Murat Bezgin.

Der 28-Jährige ist Muslim und begeht derzeit wie rund 93 Prozent der Gläubigen weltweit den Fastenmonat Ramadan. In diesen 30 Tagen verzichten Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Speisen und Getränke. An diesem Wochenende entspricht das in Ingolstadt etwa 15,5 Stunden. Eine lange Zeit, zumal laut Wetterprognosen das heißeste Wochenende des Jahres bevorsteht. Bezgin stört das aber nicht.

„Es ist schon bisschen schwierig, vor allem an den ersten Tagen fällt die Umstellung schwer. Man gewöhnt sich aber relativ schnell daran“, sagt Bezgin, der seit mehr als zehn Jahren den Ramadan begeht. Als gläubiger Muslim sieht er es als seine Pflicht an, während des Tages nichts zu essen und trinken. „Ich denke daran, was ich später einmal zurückbekommen kann, und ich will eben ins Paradies“, sagt er.

Einige Muslime klagen in der Zeit des Fastenmonats über Kopfschmerzen oder Magenprobleme. Einen Mitspieler Bezgins musste Kroll sogar aus dem Training nehmen, nachdem er während einer Übungseinheit zusammenbrach. Bezgin hingegen geht es gut. Der Familienvater fühlt sich in diesen Tagen sogar noch fitter als sonst. „Fußball macht mir noch mehr Spaß – das ist echt komisch. Ich fühle mich in der Zeit des Ramadans noch stärker.“ Ein Phänomen, das muslimische Sportler immer wieder angeben. Der ehemalige amerikanische Profi-Basketballer Julius Shareef Abdur-Rahim sagte beispielsweise: „Wenn ich faste, kann ich mich während des Spiels besser konzentrieren.“ Ein Widerspruch, zumindest laut Sportmedizinern. Demnach muss der Körper bei großer Anstrengung die eigenen Fettreserven angreifen, die sonst nur in Ausnahmefällen dafür vorgesehen sind. Dies führt unter anderem zu Konzentrationsmängeln.

Kroll hat bei seinem Spielmacher allerdings keinen Leistungseinbruch festgestellt. Der 33-Jährige respektiert, dass Bezgin sich strikt an das Fastengebot hält. Er sagt aber auch: „Er muss genauso seine Leistung bringen, wie jeder andere Spieler auch.“ Letztlich müsse man aber die Kirche im Dorf lassen, so Kroll. „Denn wir spielen immer noch in der Kreisliga, und wenn es Murat schlecht gehen sollte, kann er jederzeit aussetzen.“ Das sieht der Spieler mit der Rückennummer zehn genauso. Zumal er an Spieltagen einen Kompromiss findet. „Da faste ich nicht, das würde nicht gehen“, sagt er. Bezgin nutzt damit den Vers 185 der zweiten Koran-Sure. In diesem sind bestimmte Ausnahmeregeln festgelegt. Demnach sind Reisende, kranke Menschen, Schwangere, Kinder oder schwer Arbeitende vom Fasten befreit. Freilich, Amateurfußballer zählen nicht unbedingt zu „schwer Arbeitenden“, Muslime interpretieren diesen Vers aber unterschiedlich. Auch der Münchner Frank Ribery, 2002 zum Islam konvertiert, setzt auf diesen Mittelweg. „Das ist sehr schwer für einen Profi, der jeden Tag intensiv trainiert“, sagt der Franzose. Andere, wie Serdar Tasci vom VfB Stuttgart, spenden zum Ausgleich bedürftigen Menschen in der Türkei.

Bezgins Geheimnis, selbst bei 30 Grad oder mehr nicht in Versuchung zu kommen, doch etwas zu trinken, ist die mentale Stärke. „Es ist eine Kopfsache. Wenn ich mich darauf konzentriere, wenn ich an den Koran denke, dann schaffe ich das auch“, sagt er. Schließlich bekomme man auch Hunger, wenn man an irgendwas zu Essen denke, so der Türke weiter. Er denkt also erst gar nicht daran. Und wenn seine Mitspieler ihn dafür dann auch noch bewundern, wenn sie während des Trainings mehrere Liter Wasser in sich hineinschütten und er mit dem Ball jongliert, „macht mich das stolz“, sagt er.

Und es ist schließlich nicht so, dass Bezgin überhaupt nichts zu essen bekommt. Nach Sonnenuntergang kann und darf er essen, was er will. „Die türkische Küche gibt da relativ viel her“, sagt er und grinst. Vor allem die süßen Nachspeisen wie Baklava, ein mit Nüssen oder Mandeln gefülltes Gebäck, haben es ihm angetan. „Alles reinhauen“ lautet dann Bezgins Motto, wobei er auch weiß, dass er es nicht übertreiben darf. „Man sollte schon darauf achten, dass man langsam isst.“ Der Mittelfeldspieler passt auch auf, nichts Scharfes oder stark Gewürztes zu essen. Als Schichtarbeiter bei Audi habe er zudem den Vorteil, dass er ohnehin einen anderen Tagesrhythmus hat und während der Arbeit immer wieder essen und trinken kann. Bis zu vier Liter Wasser kommen dann zusammen. An den Wochenenden stellt er sich extra früh den Wecker, um gemeinsam mit seiner Frau Derya zu frühstücken.

In rund eineinhalb Wochen kann der Wecker am Wochenende wieder etwas später klingeln. Am 8. August feiern Muslime das Fest des Fastenbrechens. Sie dürfen dann wieder zu jeder Tageszeit essen und trinken. Für viele Gläubige ein komisches Gefühl, wie Bezgin verdeutlicht. „Man kann am Anfang gar nicht mehr so viel essen. Man ist natürlich aber richtig glücklich, dass man durchgehalten hat“, sagt er. Durchhalten will der 28-Jährige auch an diesem Samstag. Um 17 Uhr tritt er mit dem VfB Friedrichshofen beim Aufsteiger FC Hitzhofen-Oberzell an.