Roth
Christine Waitz meistert härtestes Radrennen Europas

Rotherin fährt als erste Frau solo rund um Irland und kommt nach 132 Stunden ins Ziel

04.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:21 Uhr

Es ist vollbracht: Christine Waitz strahlt nach ihrem Rennen einmal rund um Irland im Ziel. Ihr Team um Hung Lien (von links) Georg Haas, Frank Kräker und Sven Hindl ist mächtig stolz auf die 31-jährige Rotherin. - Foto: Bayer

Roth (HK) Christine Waitz hat Sportgeschichte geschrieben. Die Rotherin ist die erste deutsche Frau, die das "Race Around Ireland", das härteste Radrennen Europas, solo bewältigt hat. Waitz ist überhaupt erst die vierte Frau, die bei dem seit 2009 bestehenden Extrem-Radrennen das Ziel erreicht hat.

2200 Kilometer und 23000 Höhenmeter sind dabei von Frauen innerhalb von 144 Stunden (sechs Tage), von Männern in 132 Stunden zu bewältigen. Christine Waitz hat das Ziel nach 136 Stunden erreicht. Als die 31-Jährige früh morgens die Ziellinie in einem abgelegenen irischen Dorf überquert, hat sie eine außergewöhnliche Rundreise hinter sich. Kurz zuvor noch waren Augenlider mit Pflastern an den Augenbrauen angeklebt, damit die Augen nicht zufallen. Ihr Kopf war mit einem Seil an den Rücken angebunden, weil die Nackenmuskulatur nicht mehr funktionierte. Jetzt sind die Augen entzündet, übermüdet, die Mittelfränkin kann sich nicht mehr auf den Beinen halten, als sie vom Rad steigt. Während der 136 Stunden hat sie insgesamt nur rund fünf Stunden pausiert, Die ersten 30 Stunden bewältigte sie komplett ohne Unterbrechung.

Am dritten Tag (Dienstag, 30. August) kommt der erste Schock für sie und ihr vierköpfiges Team um Frank Kräker, Georg Haas und Sven Hindl, Hung Lien. Immer stärker werdende Nackenschmerzen zwingen Waitz zum Stopp. Sie ist nicht mehr in der Lage, ihren Kopf während der Fahrt aufrecht und den Blick nach vorne zu halten. Nackenblockaden zählen in Ultraraces zu den Hauptursachen einer Aufgabe. Die Rotherin und ihr Team wussten das und sind vorbereitet: Teammitglied Sven Hindl organisiert einen erfahrenen Physiotherapeuten in Irland. Dieser fährt sofort quer über die Insel, behandelt Waitz und rettet das ganze Abenteuer. Zusätzlich bastelt die Crew eine Konstruktion, wie sie in Ultrarennen häufig angewendet wird. Mit einer Art Wäscheleine wird der Kopf am Rücken festgezurrt und die Nackenmuskulatur dadurch entlastet. Dass Waitz in diesem Zustand über 1000 Kilometer durchhält, ist ein kleines Wunder. Noch verwunderlicher: Auf der bergigsten Etappe des Rennens gewinnt sie sogar die ausgeschriebene Sonderwertung unter allen Einzelfahrern.

Zuhause fiebern derweil Hunderte mit. Mithilfe einer Whats-App-Gruppe steht der große Supporter-Kreis in Deutschland mit dem Team in Irland in direktem Kontakt, 24 Stunden am Tag, auch nachts versammelen sich Trainingsgefährten, Athleten anderer Sportarten, Freunde und Fans in den Social-Media-Kanälen. Tausende Posts, Tweets, Motivationssprüche, Durchhalteparolen, sogar gesungene Aufmunterungssongs erreichen Waitz. Ihr Begleitteam liest und spielt ihr die Grüße durchs Autofenster vor. Ein Spruch wird allen, die das Rennen live mitverfolgt haben, noch lange in Erinnerung bleiben. Waitz steckt gerade mitten in der härtesten Sektion des Rennens, der Kopf mit dem Seil fixiert, so dass sie kaum zur Seite schauen kann. Mitten auf einem 25 Prozent steilen Anstieg brüllt sie ihrem Team zu: "Wascht mein Lieblings-Trikot - für die Zieleinfahrt!" Das ist die Kampfansage, die sich über die sozialen Medien wie ein Lauffeuer verbreitet. Christine Waitz hat dank ihres Teams, vor allem aber durch ihre Leidenschaft und Leidensfähigkeit sogar mit Zeitpuffer die Finishline erreicht. In dieser Woche ist einer außergewöhnlichen Sportlerin etwas gelungen, was nur sehr wenigen Menschen geglückt ist. Waitz gehört dem Team Quattra Bavariae an, vier Frauen, die 2017 gemeinsam das härteste Radrennen der Welt "Race Across America" nicht nur ins Ziel bringen sondern gewinnen wollen.