Ingolstadt
Hitzkopf, Stiftdieb und Publikumsliebling

03.05.2010 | Stand 03.12.2020, 4:03 Uhr

 Hitzkopf, Stiftdieb und Publikumsliebling

Ingolstadt (DK) "Man soll doch aufhören, wenn es am schönsten ist", sagt "Zecke" Neuendorf. Gemeint ist seine Karriere als Fußballprofi, die er nach 17 Jahren nach der aktuellen Saison definitiv beenden wird.

"Ich gehe zurück nach Berlin", sagt "Zecke", der immerhin drei Jahre beim FC Ingolstadt unter Vertrag stand und zum Abschluss am liebsten noch einmal einen Aufstieg feiern würde. Was danach kommt? "Das entscheide ich, wenn ich dieses Kapitel beendet habe", sagt er. "Das habe ich immer so gemacht".

Rückkehr zur Hertha?


Vielleicht wird er im Raum Berlin in einer tieferen Liga anheuern. Lockeren Kontakt zu seinem Heimatverein Hertha BSC, der ihm schon bei seinem Abschied 2007 in den Verein einbinden wollte, gibt es ebenfalls. "Vielleicht nehmen sie mich als Standby-Profi für die U 23." Das Wichtigste aber ist, dass er in seine Heimatstadt zurückkommt und Sohnemann Paul (acht Jahre) den "Wochenend-Papa" nun wieder häufiger sieht.

Ganz so leicht fällt ihm der Abschied jedoch nicht. Der FC sei für ihn wie eine Familie gewesen, sagt er. Vielleicht war das auch ein Grund, warum aus den ursprünglich geplanten zwei Jahren, plötzlich drei geworden sind. Seine Wohnung hatte er seinerzeit schon aufgelöst, doch der Abstieg aus der Zweiten Bundesliga wurmte ihn mächtig. Und als der Verein auf ihn zukam, unterschrieb er noch einmal – und zog ins Hotel. Ob seine letzte Profisaison mit dem Aufstieg tatsächlich die erhoffte Krönung erfährt, ist noch nicht klar. Dennoch sagt "Zecke", dass es "absolut die richtige Entscheidung" war, noch ein Jahr dranzuhängen. Mit bislang 34 Einsätzen (nach acht Partien in der ersten und 15 Spielen in der zweiten Saison) hat er noch einmal eine fast komplette Saison hingelegt. Vielleicht kann er nach 37 Partien auch nochmal ganz groß feiern. Doch dann ist endgültig Schluss.

Unabhängig vom Ausgang werden die Ingolstädter Fans ihren "Zecke" aber auch so in Erinnerung behalten. Diesen frechen Rotschopf, der im Mittelfeld oft nur einen Kontakt braucht, um das Spiel schnell zu machen und mit seinem feinen linken Fuß zum vielleicht wertvollsten Vorbereiter im FC-Team wurde. Aber auch den Hitzkopf "Zecke", der sich selbst schmunzelnd als "Gerechtigkeitsfanatiker mit vielleicht etwas einseitiger Sichtweise" bezeichnet. Gegenspieler und Schiedsrichter bekamen dies zu spüren, wenn er provozierte, reklamierte oder die gegnerischen Fans aufforderte, still zu sein. Gelbe Karten bekam er fast nie wegen irgendwelcher Fouls, deutlich häufiger für seinen regen Diskussionsbedarf. "Ein Schiedsrichter hat mir mal gesagt, dass er mir am liebsten schon vor dem Spiel Gelb zeigen würde, denn dann sei ich vom Anpfiff weg Gelb-Rot-gefährdet und hoffentlich ruhig."

Unvergessen seine Rote Karte aus dem Pokalspiel gegen den Hamburger SV im August 2008. In der 90. Minute war er von seinem Gegenspieler umgestoßen worden, reklamierte auf Strafstoß, was Schiedsrichter Jochen Drees aber wenig interessierte. "Ruhe, ich schreibe jetzt was, hat er zu mir gesagt. Da hab ich ihm den Kuli aus der Hand genommen und gesagt, dass er mir zuhören soll." Auch das tat Drees nicht, und verwies stattdessen Neuendorf für seinen "Stiftklau" direkt vom Feld. Um ihn vor erneuten Vergehen dieser Art zu schützen, legten ihm seine Teamkollegen noch Wochen danach in der Kabine Stifte auf seinen Platz.

"Humba, humba, tä-tä-rä"

Dass er fußballerisch glänzen kann, bewies er beim ersten Auftritt des FC Ingolstadt in der Münchner Allianz Arena. 2500 eigene Fans waren im September 2008 zum Spiel gegen den TSV 1860 München mitgereist. Und die bekamen ihre Show. 82. Minuten waren gespielt, der FC lag 0:1 zurück, als "Zecke" plötzlich aus gut und gerne 30 Metern volley abzog, und den Ball zum 1:1 in den rechten Winkel des Löwentores hämmerte. 31 000 Zuschauer rieben sich verwundert die Augen, und Publikumsliebling Neuendorf sang anschließend "Humba, humba tä-tä-rä" mit dem FC-Fanblock. Der FC hatte den Punkt, und "Zecke" ein Spiel erlebt, das so ganz nach seinem Geschmack war.

Wenn er nicht dabei sein kann, weiß er das freilich auch für sich zu nutzen. So wie im Spiel gegen Heidenheim. Nach 34 Minuten musste er mit einem Muskelfaseriss raus, ein Einsatz in der nächsten Partie vorhersehbar nicht möglich. Angesichts von bis dahin neun Gelben Karten folgten nun ein paar Zwischenrufe von der Auswechselbank – und schon war die natürlich rein zufällige Kombination von Verletzungspause und Sperre perfekt.

So war er, so ist er und so wird er wohl auch bleiben. Der freche Ur-Berliner, der Ingolstadt vor allem in seinem dritten Jahr, auf vielfältige Art bereichert hat. Irgendwann wird man sagen: Er ist tatsächlich gegangen, als es am schönsten war.