München
Auf Philipp Lahms Spuren

Joshua Kimmich tritt langsam in die Fußstapfen des Bayern-Kapitäns Heute Pokalspiel gegen Augsburg

25.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:08 Uhr

München (DK) In den meisten Kaderlisten wird beim FC Bayern unter der Rubrik Stürmer lediglich ein Profi geführt: Robert Lewandowski. Denn all die Außenstürmer wie Arjen Robben, Franck Ribéry, Douglas Costa und Kingsley Coman werden unter Mittelfeld aufgelistet. Doch in dieser Saison haben die Münchner einen Spieler, der als neuer Torjäger gilt - und das, obwohl er in der vergangenen Saison meist als Innenverteidiger oder im defensiven Mittelfeld agierte: Joshua Kimmich.

In der vergangenen Woche erzielte Kimmich beim 4:1 gegen PSV Eindhoven in der Champions League bereits sein achtes Tor in den jüngsten elf Pflichtspielen: Viermal traf er in der Bundesliga, einmal in der Nationalmannschaft und dreimal in der Königsklasse. Auf Europas größter Bühne hat Kimmich demnach nach drei Partien sogar einmal häufiger getroffen als Mittelstürmer Lewandowski. "Ich erkenne jetzt besser die Situationen, in denen ich mit vorne reingehen kann", sagt Bayerns Supertalent.

Gäbe es eine Wahl für den besten Bayern-Profi der ersten drei Monate dieser Spielzeit, müsste der 21-Jährige diesen Titel gewinnen. Als er vor der jüngsten Bundesliga-Partie, dem 2:0 gegen Borussia Mönchengladbach, von Trainer Carlo Ancelotti aus der Startelf genommen wurde, runzelten Fans und Journalisten die Stirn. Kimmich raus? Im DFB-Pokalspiel heute in der Allianz-Arena (20.45 Uhr/ARD und Sky) gegen den FC Augsburg wird er wieder dabei sein - im Mittelfeld, mit Zug zum Tor. Eine seiner großen Stärken, die in der ersten Saison verborgen geblieben war. Da hatte ihn Ex-Trainer Pep Guardiola gefördert und mit Positionswechseln gefordert. Unter Ancelotti darf Kimmich angreifen. Mutig geht er in Flugkopfbälle, wirft sich waghalsig den Torhütern entgegen. Dieser kleine, schmächtige Kerl mit 1,76 Metern, den Guardiola einst "süßer, süßer Junge" nannte.

Kimmich kann ganz anders. Wer seine aggressiven Jubelposen studiert, wer sieht, wie er Teamkollegen motiviert, aufbaut, der kann erkennen, dass das nächste Talent nur noch zutage gefördert werden muss. Kimmich, der Anführer.

Während der EM in Frankreich setzte Bundestrainer Joachim Löw nach zwei Gruppenspielen auf Kimmich als Rechtsverteidiger, weil Benedikt Höwedes diese Rolle zuvor eher bieder und brav ausgeübt hatte. Fortan verpasste Kimmich keine EM-Minute mehr. Dieser Spielertyp wie Philipp Lahm, dieser Defensivallrounder, der ein gutes Auge und ein perfektes Passspiel hat, dazu flanken kann - und mehr Tore schießt als Lahm. "Er ist sehr flexibel und kann sich schnell auf eine neue Position einstellen. Er macht das sehr gut bei uns", lobt Löw. Mittlerweile hat er hinten rechts seinen Stammplatz.

Bei den Bayern noch nicht. Doch Kimmich ist keiner, der deswegen auf den Putz haut. Er weiß, dass seine Zeit kommt. "Es gab fast nur Skeptiker. Nur die wenigsten hatten mir zugetraut, dass ich dort so Fuß fassen würde", sagt der junge Mann aus Bösingen, einer Gemeinde im Landkreis Rottweil am Neckar. "Aber ich persönlich hatte nie Zweifel, ich war mir immer sicher, dass ich meine Einsätze bekommen würde." Ein kerniges Selbstvertrauen spricht da aus dem 21-Jährigen, der in Interviews meist sehr leise spricht, eher schüchtern und zurückhaltend rüberkommt. Seine sieben Sachen packt er nach Spielen in einen Rucksack, die Daumen in die Schlaufen eingehängt. Große Rollkoffer und riesige Kopfhörer sind nicht sein Ding. Die Entschlossenheit, die er mittlerweile auf dem Platz verkörpert, wirkt selbstverständlich. Und das, obwohl er vor dem Wechsel zu Bayern 2015 lediglich 53 Zweit- und Drittliga-Spiele für RB Leipzig gemacht hatte. Der VfB Stuttgart holte ihn damals zurück, verkaufte ihn jedoch für rund acht Millionen Euro nach München. Aus Geldnot. Kimmichs Marktwert wird inzwischen mit rund 20 Millionen Euro angegeben, doch er dürfte schon weit höher liegen, wenn man sieht, welche Durchschnittsspieler in diesem Sommer für aberwitzige Summen wechselten.

Während Ribéry, David Alaba und Jérôme Boateng am vergangenen Wochenende zu einem NFL-Match nach London jetteten, saß Kimmich mit seiner Freundin auf der Tribüne bei RB Leipzig und sah bei seinem Heimatbesuch das 3:1 gegen Werder Bremen. Er kehrt gerne zu seinem ehemaligen Verein zurück, machte in der Sommerpause beim Tennis-Laienturnier des TC Herrenzimmern mit. Ein bodenständiger Typ. Und künftiger Bayern-Kapitän. Auf den Spuren von Lahm eben.