Der Majestix von Mainz

26.09.2010 | Stand 03.12.2020, 3:38 Uhr

 

München (DK) Louis van Gaal blickte den Fragesteller ein wenig irritiert an. Der knorrige Holländer sah noch etwas knorriger aus als sonst. Die Erklärung dieser 1:2 (1:1)-Niederlage hatte ihn an den Rand seiner Deutsch-Kenntnisse gebracht, ihm fehlten die Worte.

Er suchte nach ihnen wie seine Spieler nach dem öffnenden Pass. Wo das noch hinführen könne, war die Frage. Louis van Gaal antwortete: "Wir sind noch in drei Wettbewerben vertreten, oder sehen Sie das anders" Das Problem dabei: Die Frage zielte nicht auf die Chancen des FC Bayern München. Sie zielte auf den FSV Mainz 05. Auch das war neu, wie so vieles an diesem Nachmittag, der die Fußball-Welt auf den Kopf gestellt hat. Noch nie war Louis van Gaal mehr nach dem Gegner gefragt worden als nach seinem FC Bayern. Es hat aber auch kaum eine Mannschaft gegeben, die in München so rotzfrech, so selbstbewusst, so angriffslustig angetreten ist wie dieser furchtlose FSV, der immer mehr erinnert an die berühmtesten Comic-Helden der Welt: "Ja, wir fühlen uns im Moment ein wenig wie die Gallier", sagte der Mainzer Manager Christian Heidel, "Asterix, das ist ein guter Vergleich".
 

Fitness als Geheimnis

Dabei benötigte der Majestix von Mainz, Trainer Thomas Tuchel (37), gar keinen Zaubertrank. Sein Geheimnis ist Fitness. Und der sogenannte Matchplan, eine für jeden Gegner passend und detailliert ausgearbeitete Erfolgsanleitung. Sechstes Spiel, sechster Sieg, saisonübergreifend sind die Mainzer nun schon seit April ungeschlagen. Tabellenführer. "Wir fühlen uns jetzt nicht größer als wir sind", sagte Tuchel, dieser rastlose Seitenhampelmann, im Bemühen, nicht die Bodenhaftung zu verlieren. "Aber dieser Sieg in München gibt uns den Glauben an die eigene Leistungsfähigkeit." Ein wenig Stolz schwang mit in diesen Worten. Stolz darüber, "dass wir auch hier unseren Stil zu erkennen gegeben haben."

Wieder hatte das Schlitzohr seine Elf umgekrempelt im Vergleich zum Köln-Sieg unter der Woche. Fünf Spieler rotierte er in das Team, wohl noch nie in der Bundesliga hat es solch einen gelungenen Rollentausch gegeben wie diesen steten Wandel in Mainz. Dabei ist der Wechsel Teil des Plans, er soll Erholungspausen schaffen. "Wir spielen einen kraftaufwendigen Fußball", sagte Heidel, "und wer nicht laufen will bis zum Anschlag, der ist kein Spieler von Mainz 05".

Lewis Holtby, einer dieser jungen Wilden, sagte: "Wir laufen uns kaputt, wir kämpfen um jeden Grashalm." Das war gut sehen an diesem Wiesnsamstag, an dem die Münchner spielten, als hätten sie ein paar Karussell-Runden zu viel in der Krinoline gesessen. Fehlpass über Fehlpass forderten die Pfiffe des erwartungsfrohen Oktoberfestpublikums geradezu heraus. Kein Mittel fanden sie gegen das aggressive Forechecking der Gäste, die mit ihren Stürmern Sami Allagui und Adam Szalai nicht nur brillante Torschützen hatten (15./77.), sondern auch das Aufbauspiel der Bayern schon im Ansatz zerstörten. So quirlig und rastlos wuselte Ivica Olic, Bayerns einziger Angreifer, auch einmal, damals im seligen Frühjahr 2010. Miroslav Klose? Wirkungslos und verschenkt auf der zentralen Position im Mittelfeld. Thomas Müller? Bei ihm glänzten nur die quietscheblauen Schuhe. Mario Gomez? Der Stürmer kostete einmal 30 Millionen Euro und damit annähernd doppelt soviel wie der Mainzer Gesamtetat. Doch auch diese Partie verbrachte er 75 Minuten lang mit Warten auf der Bank und Gymnastik an der Außenlinie. Seine 15 Einsatzminuten: zum Vergessen. "Wir waren schlecht", sagte Louis van Gaal. Es war die einzige Erklärung, die er fand.

Eigentor von Svensson

Zehn Punkte liegt der Meister nun schon hinter dem Spitzenreiter zurück, er dümpelt im Mittelfeld in zunehmend rauer werdender See. Zum dritten Mal in Folge gab es zuhause kein Bayerntor, denn den Treffer zum zwischenzeitlichen Ausgleich besorgte der Mainzer Bo Svensson per Kopfverlängerung in den eigenen Kasten (45.). Nach der Statistik, sagte Louis van Gaal, "hätten wir gewinnen müssen". Er meinte den Pfostenkopfball von Klose und 64 Prozent Ballbesitz, die 13 Torschüsse und 58 Prozent gewonnene Zweikämpfe. "Aber so ist Fußball nicht."

Fußball, das ist im Moment Mainz. Und so feierten sie in der Fankurve, wo droben im Oberrang das Plakat hing "Meenzer Metzger" und dahinter die Karnevalskinder mit nackten Oberkörpern tanzten. Also, Herr van Gaal, wo führt das noch hin mit diesen Galliern aus Mainz? "Ich traue dieser Mannschaft viel zu, sie hat eine Handschrift", sagte er, "sie kann Meister werden".