Hunderte
Champions gegen Underdogs

01.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:52 Uhr

Foto: DK

Minneapolis (sid/dpa) Hunderte Millionen Zuschauer weltweit sitzen vor dem Fernseher, wenn in der Nacht zu Montag Titelverteidiger New England Patriots und die Philadelphia Eagles im 52. Super Bowl um die Krone im American Football kämpfen. Ein absoluter Außenseiter will den sechsten Triumph von Patriots-Superstar Tom Brady verhindern.

Sylvester Stallone weiß schon, wer den 52. Super Bowl gewinnt. "Der Underdog bezwingt den Favoriten", schrieb der Schauspieler in einem sozialen Netzwerk. Auf dem passenden Foto fordert Rocky Balboa im Trikot der Philadelphia Eagles seinen übermächtigen Gegner Iwan Drago - der Russe trägt die Farben der New England Patriots. Stallone, in Philadelphia aufgewachsen, ist seit Tagen im Football-Fieber. Eagles-Quarterback Nick Foles kann die Gemütslage der Hollywood-Größe gut nachvollziehen. "Das war eine echt verrückte Reise, ich bin einfach total dankbar, Teil dieser wunderbaren Geschichte zu sein", sagte Foles.

Noch vor zwei Monaten sah es so aus, als würde der 29-Jährige die gesamte Saison auf der Bank verbringen - als Ersatzmann hinter Überflieger Carson Wentz. Doch dann zog sich der MVP-Kandidat einen Kreuzbandriss zu, die Experten schrieben Philadelphia ab. Drei Spiele bestritt Foles als Starter in der regulären Saison und sicherte seinem Team das Play-off-Heimrecht - doch die Skeptiker waren nicht überzeugt. "Seit dem Ausfall von Carson hat uns niemand eine Chance gegeben. Meine Jungs müssen sich jede Woche anhören, dass sie nicht gut genug sind", sagte Trainer Doug Peterson.

Trotz der Siege gegen die Atlanta Falcons und die Minnesota Vikings stufen die Wettanbieter Philadelphia in der Nacht zum Montag (0.30 Uhr/ProSieben und DAZN) weiter als Underdog ein. Die Eagles haben sich damit abgefunden. Seit dem Viertelfinale zelebrieren sie ihre Rolle mit Hundemasken und begleitendem Bellen.

Die Sympathien in den USA sind klar verteilt, die Amerikaner lieben Geschichten über den Kleinen, der den Großen allen Widrigkeiten zum Trotz bezwingt. Tom Brady allerdings lässt sich nicht blenden. "Nick braucht keine Tipps von mir. Er ist ein professioneller Quarterback, der seine Sache bisher großartig gemacht hat", sagte der Star-Spielmacher der Patriots beim gemeinsamen Medientermin in Minnesota.

Brady weiß ganz genau, dass es durchaus möglich ist, als Ersatzmann auf den Thron zu steigen. 2002 war es der "Greatest of all time" höchstpersönlich, dem dieses Kunststück zum bislang letzten Mal in der NFL-Geschichte gelang. Und auch diesmal ist Brady mit seinen erfolgsverwöhnten Patriots der klare Favorit - trotz seiner Handverletzung, die ihn zuletzt aber nicht mehr groß behinderte. "Wenn du Tom schlagen willst, musst du bereit sein, dein Leben aufzugeben. Denn er tut das. Außer Familie und Sport kennt er nichts", sagte der deutsche Ex-Profi Sebastian Vollmer, der von 2009 bis 2017 an Bradys Seite auflief. Gemeinsam gewannen sie 2014 den Super Bowl.

An ein baldiges Karriereende des 40-Jährigen glaubt sein früherer Mitspieler nicht: "Er sagt von sich selbst, dass er heute besser ist als vor 15 Jahren - warum sollte er also aufhören" Für Brady wäre der Triumph im 52. Super Bowl der sechste - sein Trainer könnte sich sogar den achten Ring sichern. Fünf Erfolge hat der kauzige Erfolgstrainer Bill Belichick mit den Patriots geschafft, zwei weitere als Abwehr-Coach der New York Giants, mit denen er 1987 und 1991 triumphierte. So viele hat sich noch niemand verdient. Wer genau der Mann ist, der diese Sammlung besitzt, darüber wird viel spekuliert und diskutiert. Meist tritt er streng, wortkarg und unnahbar auf. Belichick wirkt so kühl, dass sich Journalisten bei Pressekonferenzen einen Spaß daraus machen, zu zählen, wie oft er lächelt. Manchmal gar nicht.

Sicher ist, dass der Coach viel Wert auf Details legt. "Bill sagt immer: ,Du kannst nicht gewinnen, wenn du schlecht spielst.' Damit meint er, dass die meisten Spiele dadurch entschieden werden, dass eines der Teams mehr Fehler macht", sagt Vollmer. Grundlegend für den Erfolg der "Pats" sei auch die Fähigkeit des Trainerteams, seine Spielstrategie notfalls während der Partie schnell umzubauen.

Demut, Disziplin und Raffinesse sind Fundamente der Ära Belichick bei den Patriots, die schon seit 2000 andauert. Seitdem war kein NFL-Team auch nur annähernd so erfolgreich. Auch Brady steht seit fast 18 Jahren bei New England unter Vertrag. Der wohl grenzenlose Ehrgeiz des Coaches der Patriots führte aber auch zu mindestens grenzwertigen Machenschaften. "Deflategate" und "Spygate" bezeichnen Fälle, bei denen es New England mit den Regeln nicht genau nahm und von der NFL bestraft wurde. Auch diese Affären stehen für die ringreiche Belichick-Zeit.

Nun greift auch Philadelphias Foles erstmals nach den Sternen. Dabei war er 2015 nach einer enttäuschenden Saison mit den St. Louis Rams kurz davor, das Handtuch zu werfen. "Ich habe ein Gebet gesprochen und in mich hineingehört. Meine innere Stimme sagte mir: Mach weiter", so der gläubige Christ über die dunkelste Zeit seiner Karriere. Nach einem Jahr bei den Kansas City Chiefs kehrte er 2017 zu seinem ersten NFL-Klub nach Philadelphia zurück - als Back-up für den aufstrebenden Wentz. Der Rest ist Geschichte.

Kraft gibt dem Familienmenschen vor allem seine sieben Monate alte Tochter Lily. "Es ist egal, was passiert. Ob ich ein furchtbares Spiel mache, ob wir den Super Bowl gewinnen, sie hat keine Ahnung. Sie liebt mich, egal was passiert", sagte Foles. "Das nimmt dir einfach den Druck. Natürlich will ich gewinnen, das ist ja klar. Aber dass meine Frau und meine Tochter hier dabei sein können, das bedeutet mir einfach alles."