Ingolstadt
Vergangenheitsbewältigung

Audi will auf noch lebende Zwangsarbeiter während der NS-Zeit zugehen

26.05.2014 | Stand 02.12.2020, 22:39 Uhr
Ganz nah bei den führenden Nationalsozialisten: Auto-Union-Chef Richard Bruhn (rechts) bei der Präsentation eines Fahrzeuges mit Hermann Göring (links), Oberbefehlshaber der Luftwaffe, und NS-Propagandachef Joseph Goebbels (Mitte, vorne). −Foto: Audi

Ingolstadt (DK) Seit gestern ist das Buch über die Verstrickung der Auto Union in die Verbrechen des Nationalsozialismus im Handel. Auf 500 Seiten beschäftigen sich zwei Autoren mit der Vergangenheit des Audi-Vorgängers während des Dritten Reichs. Der Autobauer hat die ersten Konsequenzen gezogen.

Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hat bereits begonnen: Im Museum mobile ist die Audi-Geschichte bereits umgeschrieben. Ein Teil der Ausstellung befasst sich mit der Vergangenheit des heute so erfolgreichen Autobauers.

Der Vorgängerkonzern Auto Union war 1932 aus den Herstellern DKW, Audi, Horch und Wanderer entstanden. Nun ist klar, dass die Auto Union stärker an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligt war, als bislang bekannt. Laut der Studie „betrieben die Auto-Union-Vorstände den Einsatz tausender Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge mit List und sichtlichem Eifer bis in die letzten Kriegswochen“. Die Untersuchung hat deshalb Einfluss auf die Firmengeschichte. „Die Texte im Museum sind diesen Erkenntnissen angepasst“, sagte ein Audi-Sprecher. Um den damaligen Auto-Union-Chef Richard Bruhn – er baute nach dem Zweiten Weltkrieg die Auto Union in Ingolstadt und Düsseldorf wieder auf – habe im eigenen Museum nie ein Personenkult geherrscht. Bruhn habe der Studie der beiden Autoren Martin Kukowski und Rudolf Boch zufolge eine „Führungsrolle“ bei der Ausbeutung von Zwangsarbeitern eingenommen.

Das Unternehmen will nach eigenen Angaben nun auf die Überlebenden des Nazi-Terrors zugehen und intern Projekte zur Aufarbeitung starten. „Zum Teil mit Zeitzeugen, zum Teil auch mit Mitarbeitern aus unseren Werken“, hieß es gestern in Ingolstadt. Lange Zeit war die Rolle Bruhns bei Audi nicht hinterfragt worden. 2000 hatte sich das Unternehmen noch an den Dr.-Richard-Bruhn-Wochen in Cismar, dem Geburtsort Bruhns, beteiligt. Nun hat der Autobauer einen anderen Kurs eingeschlagen. „Mit der Studie haben wir uns sehr verantwortungsvoll gezeigt“, sagte Audi-Chef Rupert Stadler der „Wirtschaftswoche“. Aber nicht nur bei der VW-Tochter hat die Studie Konsequenzen. Auch in Ingolstadt wird sich bald der Stadtrat mit den neuen Erkenntnissen beschäftigen. Im Rathaus weiß man von der Studie seit der vergangenen Woche. Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU) hat das Thema gestern Vormittag bei der Referentenrunde angesprochen. „Wir werden mit dem Thema ganz verantwortungsvoll umgehen“, sagte der Rathauschef. Noch sei man damit beschäftigt, Informationen zu sammeln und sich einen detaillierten Überblick über die Studie zu verschaffen. Dann soll das Thema im Ältestenrat diskutiert werden.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil es in Ingolstadt eine Bruhn-straße gibt. „Es wird darum gehen, die Straße umzubenennen“, kündigte Lösel auf Anfrage an.