Ingolstadt
"15-Jährige müssen mehr als das Sparbuch kennen"

Commerzbank-Bereichsvorstand Werner Braun über junge Kunden und die Zukunftsstrategie in der Region

03.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:16 Uhr

Werner Braun ist seit 2015 Bereichsvorstand Süd bei der Commerzbank. - Foto: Commerzbank AG

Ingolstadt (DK) Seit 2015 ist Werner Braun als Bereichsvorstand für die Privat- und Unternehmerkunden der Commerzbank in Süddeutschland zuständig. Im Interview spricht er unter anderem über die Entwicklung der gesamten Bank und den Standort Ingolstadt.

Herr Braun, wenn Sie einen Wunsch an die Sondierer in Berlin frei hätten, welcher wäre das?

Werner Braun: Wir brauchen ein klares Signal der neuen Regierung Richtung EZB, was die Zinsentwicklung und auch die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi betrifft. Der Nullzins gefährdet Vermögensaufbau und Altersvorsorge einer ganzen Generation.

 

Die EZB hat die Anleihekäufe verlängert, aber das Volumen halbiert. Ist das der erste Schritt aus der lockeren Geldpolitik?

Braun: Nein, das ist die Kraft der Fakten: Die EZB wird bald an die rechtlich festgelegte Obergrenze für den Kauf von Staatsanleihen stoßen.

 

Wie könnte der Zeitplan aussehen?

Braun: Es ist kein Druck da. Es gibt fast keine Inflation - derzeit 1,5 Prozent. Das ist weit unter den angestrebten 2 Prozent. Ich erwarte eine erste Leitzinserhöhung frühestens im Sommer 2019. Mit einem Leitzins in Inflationshöhe rechne ich nicht vor dem Jahr 2022. Wir werden uns noch mindestens eine Dekade mit Niedrigzinsen beschäftigen.

 

Für Sparer bedeutet das, dass sie keine Zinsen bekommen. Muss anders investiert werden?

Braun: Natürlich. Wir bringen Kinder immer noch dazu, Geld auf Sparbücher zu legen. Das ist ein vollkommen falsches Signal. Deutschland hat eine Sparkultur, aber keine Anlagekultur. Zwei Billionen Euro liegen unverzinst herum, das ist Geldvernichtung. Aber es gibt weiterhin gut strukturierte Anlagemöglichkeiten mit Rendite.

 

Es gibt Stimmen, die am Immobilienmarkt bereits vor einer neuen Blase warnen. Fällt das damit als Alternative auch aus?

Braun: Nein, das sehe ich nicht. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Mit einer vernünftigen Aktienanlage konnte man in den vergangenen Jahren schöne Renditen erzielen. Wir haben Höchststände und die wenigsten Deutschen sind dabei. Ohne Risikobereitschaft gibt es keine Rendite. Aber das größte Risiko ist, das Geld unverzinst liegenzulassen.

 

Warum ist die Risikobereitschaft hierzulande so gering?

Braun: Erstens sind wir durch mehrere Finanzkrisen gegangen, wo Aktienanlagen die breite Bevölkerung nicht erreicht haben, zum Beispiel bei der Telekom. Zweitens die Finanzbildung: Sie können in Deutschland Abitur machen, ohne eine einzige Stunde Wirtschaftsunterricht gehabt zu haben. Ein 15-Jähriger sollte wissen, dass es mehr gibt als ein Sparbuch. Und drittens herrscht ein großer Aufklärungs- und Beratungsbedarf.

 

Wie stellen Sie sich die Finanzbildung konkret vor?

Braun: Es sollte ein Pflichtfach Wirtschaft geben. Es muss klar werden, dass es wirtschaftliche Zusammenhänge gibt, die ins tägliche Leben einfließen. Wenn jeder der 5000 Studenten in Ingolstadt ein Aktiendepot hätte, hätten wir ein anderes Verständnis von Märkten.

 

So eine Mentalität lässt sich aber nicht so einfach ändern.

Braun: Es ist wie beim Rauchen aufhören: Ohne Selbsterkenntnis geht wenig. Wir müssen die Dramatik darstellen. Früher war es mit fünf Prozent Zinsen möglich, in 15 Jahren das Vermögen zu verdoppeln. Bei heutigen Zinsen braucht man 300 Jahre. Das ist für die Altersvorsorge dramatisch. Dieses Risiko ist real, aber dafür gibt es kein Bewusstsein. Wir haben als Commerzbank in den vergangenen Jahren die wichtigsten Beratungstests gewonnen. Entscheidend ist, dass ein Kunde Beratung auch erlebt.

 

Ihre Filiale in der Ingolstädter Altstadt ist an den meisten Tagen von 9-13 und von 14-16 Uhr geöffnet. Das sind nicht unbedingt kundenfreundliche Zeiten.

Braun: An anderen Standorten haben wir länger offen. Und wir sind immer online und telefonisch bis spätabends erreichbar. Denn Beratung findet eben nicht am Schalter statt. Viele Menschen informieren sich zuerst digital. Wir stellen deshalb die ersten Informationen im Netz bereit und digitalisieren komplette Prozessketten. Ein Beispiel: Wenn Sie bei Ikea vor Ihrer Wunschküche stehen, können Sie künftig einen Ratenkredit in wenigen Minuten bekommen, ohne dass ein einziger Mensch dazwischengeschaltet ist.

 

Dafür muss der Kunde aber seine Daten rausgeben. Muss man sich von den deutschen Datenschutzstandards verabschieden?

Braun: Erstens ist gut, dass wir einen starken deutschen und europäischen Datenschutz haben. Das hilft uns manchmal im Vergleich zu den USA. Zweitens lähmt uns das aber auch manchmal. Und viele Daten geben wir sowieso vielfach preis. Bei jedem Kredit muss man sehr persönliche Daten angeben. Wenn das digital abrufbar ist, ist das eine Erleichterung. Damit die Kunden das annehmen, müssen die Daten sicher sein. Und beim Thema Sicherheit haben wir als Bank hohe Standards.

 

Kommen Menschen, die ihren digitalen Fußabdruck klein halten, künftig also schwieriger an einen Kredit?

Braun: Nein, überhaupt nicht. Mit der EU-Zahlungsdienstrichtlinie PSD II besteht ab nächstem Jahr bankübergreifend die Möglichkeit, nach Zustimmung des Kunden auf Daten zuzugreifen. Wenn ein Sparkassen-Kunde Interesse an einem Kredit von uns hat, kann er uns erlauben, seine Kontoumsätze zu nutzen. So können wir auch Menschen, für die wir nicht die Hausbank sind, schnell und einfach ein individuelles Angebot machen. Die Kunden werden damit flexibler und können leichter Angebote vergleichen.

 

Wenig flexibel sind die meisten Menschen dagegen, wenn es darum geht, die Bank zu wechseln.

Braun: In den nächsten Jahren verlieren 30 Millionen Deutsche ihre Bankfiliale - viele sicher auch in Ingolstadt. Das wird die Wechselbereitschaft erhöhen. Dafür stehen wir bereit. Wir behalten unsere 1000 Filialen und bieten weiter unser kostenloses Girokonto an. Wir wachsen derzeit deutlich. Die Bereitschaft, die Bank zu wechseln, war noch nie so hoch wie jetzt.

 

Die Zahl der Commerzbank-Filialen ist aber auch deutlich gesunken - von 1477 in 2011 auf heute rund 1000.

Braun: Das waren aber im Zuge der Fusion mit der Dresdner Bank Filialen in unmittelbarer Nähe, die zusammengelegt wurden. Wir bleiben mit 1000 Filialen nah bei unseren Kunden.

 

Was erwarten Sie nach der Fusion der Sparkassen Ingolstadt und Eichstätt?

Braun: Ich will nicht über einzelne Mitbewerber sprechen. Aber natürlich merken wir, dass wir neue Kunden bekommen, wenn irgendwo Unruhe ist, Filialen geschlossen oder Preise erhöht werden. Alleine im Bereich der Niederlassung Regensburg, zu der Ingolstadt gehört, haben wir in diesem Jahr bisher 2600 Kunden netto hinzugewonnen, davon allein über 700 in unseren beiden Ingolstädter Filialen. 2012 bis 2016 haben wir eine Million Nettokunden in Deutschland gewonnen. In der gleichen Zeit bis 2020 sollen es zwei Millionen sein.



Welche Zukunftspläne haben Sie für Ingolstadt?

Braun: Mit den zwei Filialen sind wir gut aufgestellt. Da wollen wir nichts ändern.

 

Was ist mit kleineren Städten wie Pfaffenhofen oder Neuburg?

Braun: Im Moment fühlen wir uns mit unseren Standorten in der Region wohl. Wir testen aber derzeit ein Modell namens City-Filiale - kleine Filialen, die schnell eröffnet werden können. In aufstrebenden Regionen wie Ingolstadt könnten wir damit sicher in den Markt gehen.

 

Interview: Daniel Wenisch