Ingolstadt
"Europa darf nicht ins Gerede kommen"

24.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:37 Uhr

Ingolstadt (DK) Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverbands BGA, warnt vor Schuldzuweisungen und Nationenbeschimpfungen

Herr Börner, was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Ergebnis des Referendums erfuhren?

Anton Börner: Ich war erst einmal sprachlos, dass man seine eigene Katastrophe wählt. Ich war fest überzeugt, hier werden Vernunft und Pragmatismus vor Populismus siegen.

 

Sie sprechen von einer Katastrophe. Skizzieren Sie doch bitte, was jetzt folgen wird.

Börner: Ich fange mal ganz unten an: Millionen Engländer, die jetzt in den Süden nach Spanien oder Portugal aufbrechen, werden am Montag erleben, dass der Urlaub 20 Prozent teurer wird. Das Zweite, was alle merken: 800 000 deutsche Autos werden nach England verkauft - die werden auch übers Wochenende 20 bis 25 Prozent teurer. Das sind ganz simple Geschichten. Aber das Allerschlimmste für die Engländer ist: Die Schotten und die Nordiren haben erklärt, sie wollen nicht raus aus der EU. Also kommt die Referendumsfrage: Wird Großbritannien in drei Länder zerfallen? Instabilität und Nervosität sind überall zu spüren. Kein Mensch wird in England investieren. Das ist eine Katastrophe für das Wachstum, für die Arbeitsplätze, für die Einkommen, für den Wohlstand, für die Renten, für alles.

 

Wie kann jetzt die deutsche Wirtschaft reagieren?

Börner: Wir müssen mit dem fertig werden, was wir vorfinden. Da gibt es kein Patentrezept, das muss jedes Unternehmen für sich selber entscheiden. Wir haben als Wirtschaft aber eine Stimme und können auf die Politik einwirken und für Vernunft plädieren: keine Schuldzuweisungen, keine Wählerbeschimpfungen, keine Nationenbeschimpfungen, sondern einen kühlen Kopf bewahren und gemeinsam die Scherben auflesen, sodass wir es möglichst ohne Schnittwunden hinkriegen, das Beste aus der Situation zu machen. Aber vor allem müssen wir darauf hinwirken, dass nicht noch mehr Nachá †ahmer kommen. Europa darf nicht ins Gerede kommen, ein instabiler Kontinent zu sein. Sonst sind wir verloren.

 

Was muss sich in der Europäische Union ändern, damit es nicht zu weiteren Austritten kommt?

Börner: Ganz wichtig ist, dass die europäischen Politiker den Menschen erklären, worin der Wert Europas liegt: Setzt dieses große Gebilde, das für Frieden und Stabilität gesorgt hat und in der Welt einmalig ist, nicht aufs Spiel! Das wurde versäumt, und letztlich kriegt man dafür die Quittung. Auf der einen Seite muss man den Menschen auch wieder ein Heimatgefühl geben und sagen als Europäische Union: Ihr dürft in euren Ländern leben und eure Gesetze machen, so wie ihr das für richtig haltet. Da mischen wir uns nicht ein. Wir kümmern uns um die ganz große Linie.

 

Die Austrittsverhandlungen werden sich über Jahre hinziehen. Was bedeutet das für unsere Wirtschaft?

Börner: Für uns hat der Brexit natürlich sofort Auswirkungen aufgrund des Wechselkurseffekts. England ist unser drittgrößter Handelspartner, wir exportieren ungefähr für 90 Milliarden Euro jährlich. Wenn unsere Waren plötzlich um 20 Prozent teurer werden, dann können wir dem nichts entgegensetzen. Da werden die Umsätze zurückgehen. Der Zweitrundeneffekt trifft die Italiener, die Franzosen, die Spanier und andere Euro-Länder, denen es wirtschaftlich deutlich schlechá †ter geht als uns. Gerade die jungen Hoffnungspflänzchen werden jetzt schnell zertreten werden. Das bedeutet, dass unsere Umsätze in diesen Ländern auch nicht mehr wachsen oder sogar zurückgehen, was wiederum für diese Länder bedeutet, dass sie in eine Rezession geraten. Dann haben wir ein Wiederaufflammen der Schuldenkrise und die Diskussion um den Euro. Mittelfristig haben wir dadurch in Deutschland Wachstumsdämpfungen: Das kostet uns Arbeitsplätze und Wohlstand.

 

Die Fragen stellte

Suzanne Schattenhofer.

Foto: BGA