Berlin
Betriebe sind bestens ausgelastet

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer über Wartezeiten und Fachkräftemangel

19.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:24 Uhr

Berlin (DK) Angesichts des Baubooms wird die Suche nach einem Handwerker oft zum Geduldspiel. Im 1. Halbjahr waren die Betriebe im Durchschnitt für die kommenden 9,4 Wochen ausgelastet. Ein Gespräch mit Hans Peter Wollseifer, dem Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.

Herr Wollseifer, in Deutschland wird gebaut wie lange nicht, 180 000 neue Wohnungen und 50 000 Häuser wurden in der ersten Jahreshälfte genehmigt. Ist eine goldene Zeit für das Handwerk angebrochen?

Hans Peter Wollseifer: Bau- und Ausbauhandwerk profitieren von weiter wachsenden Wohnungsbauaktivitäten und der hohen Nachfrage nach Sanierungen im Bestand. Die Niedrigzinsphase, steigende Realeinkommen und der ungebrochene Zuzug in Ballungszentren kurbeln die Baukonjunktur an. 94 Prozent der Ausbauhandwerke beurteilen aktuell die Lage als gut oder zufriedenstellend - ein Topwert.

Viele Bauherren finden keine Handwerker mehr. Wie dramatisch ist der Fachkräftemangel, und was sind die Gründe?

Wollseifer: Die Betriebe können und wollen wachsen, sie finden aber dafür weder Facharbeiter noch Auszubildende. Am Geld kann es nicht liegen: Die Gehälter in der Bau- und Ausbaubranche steigen. Die Ausbildungsvergütungen etwa beim Hochbau sind mit rund 1500 Euro im dritten Lehrjahr die höchsten im Handwerk. Und Ausbauberufe wie Anlagenbauer im Bereich Sanitär, Heizung und Klima oder Elektroniker haben eine spannende Hightech-Zukunft.

Müssen sich Bauherren und Vermieter, die dringend einen Handwerker brauchen, auf immer längere Wartezeiten und auch auf steigende Preise einstellen, weil gute Mitarbeiter höhere Löhne fordern?

Wollseifer: Die Auftragsreichweiten erreichen im Schnitt die Zehn-Wochen-Grenze. Das heißt: Kunden müssen rechtzeitig ihre Aufträge ausschreiben oder ihnen bekannte Handwerker direkt ansprechen. Die Löhne und Preise bestimmt auch der Markt. Wo besonders hohe Nachfrage besteht, ist mit einer Korrektur nach oben zu rechnen. Aber Kunden- und Notdienste stehen selbstverständlich zeitnah zur Verfügung.

Wie kann die Politik helfen, um den Handwerkermangel zu verringern?

Wollseifer: Deutschland macht eine ungute Entwicklung durch. Mittlerweile streben 58 Prozent eines Jahrgangs Abitur und Studium an. Das war vor 15 Jahren noch umgekehrt. Berufliche und akademische Bildung müssen wieder gleichberechtigt gefördert werden. Und Unternehmer wie unsere Handwerksmeisterinnen und -meister verdienen auch mehr gesellschaftliche Reputation.

Es sind im vergangenen Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Können sie helfen, den Fachkräftemangel in ihrer Branche zu verringern?

Wollseifer: Das Handwerk hat bereits vor einem Jahr darauf gedrungen, an einer Ausbildung interessierte junge Flüchtlinge zu identifizieren. Mittlerweile läuft ein Gemeinschaftsprojekt mit den Arbeitsagenturen und dem Bundesbildungsministerium in unseren Bildungsstätten. Bis zu 10 000 Flüchtlinge sollen für die Ausbildung in Handwerksbetrieben fit gemacht werden. In etwa fünf Jahren werden Flüchtlinge hoffentlich zur Behebung des Fachkräfteengpasses einen kleinen Teil beitragen können.

Das Interview führte

Tobias Schmidt.