Brüssel
Grenzenloses Internet – für alle?

23.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:30 Uhr

Brüssel (DK) „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar.“ Jeder, der das Internet nutzt, wird früher oder später auf diesen Satz stoßen. Denn in unterschiedlichen Ländern der Europäischen Union gelten unterschiedliche Urheberrechtsstandards. Damit muss Schluss sein, fordert die EU-Abgeordnete Julia Reda – für ein Internet ohne Grenzen.

EU-Digitalkommissar Günther Oettinger will, dass Netznutzer für geistiges Eigentum zahlen sollen. Reda dagegen fordert die fünfte Freiheit für Europa: freien Informationsverkehr. Die vier Freiheiten in der Europäischen Union, also freier Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, erleichterten in erster Linie die wirtschaftliche Entwicklung Europas. „Die nächste Aufgabe lautet, die Ebene der EU als Wirtschaftsunion zu verlassen und eine neue Bedeutungsdimension hinzuzufügen“, sagt Reda und meint damit, die Rechte der Bürger im Internetzeitalter zu stärken und Zugang zu unbegrenztem Wissensaustausch zu schaffen.

Die einzige Vertreterin der Piratenpartei in Brüssel hat dem Rechtsausschuss Ende Januar ihren Bericht zum geltenden Urheberrecht vorgelegt. Der Ausschuss stimmt am 16. April über Redas Vorschläge ab, das Plenum im Europäischen Parlament voraussichtlich am 20. Mai. Ein Gesetzesentwurf soll im Sommer vorliegen. Als Berichterstatterin hat Reda in den vergangenen Monaten das Gesetz von 2001 unter die Lupe genommen und sich mit der Frage beschäftigt, ob die beabsichtigte länderübergreifende Harmonisierung von Urheberrechtsstandards zur Realität geworden ist. Und, ob der europaweite Schutz geistigen Eigentums tatsächlich im Zeitalter der Digitalisierung angekommen ist.

Für den zweiten Punkt erteilt Reda der 13 Jahre alten Richtlinie eine Absage: „Sie reicht nicht mehr aus, Rechtssicherheit für Menschen zu schaffen, die über das Internet kulturelle Werke austauschen oder erstellen.“ Denn die technische Entwicklung habe rasante Fortschritte gemacht. „An manchen Stellen ist von CD-ROMs die Rede. An anderen davon, dass das Lesen digitalisierter Bücher nur an speziellen Leseterminals in Büchereien erlaubt ist“, schreibt sie in ihrem Bericht. Mit dem Alltag der Menschen im Jahr 2015, in dem das Internet in der Hosentasche abrufbereit wartet, habe das ihrer Meinung nach nichts mehr zu tun.

Das geltende Recht stößt auch in Sachen Harmonisierung an seine Grenzen. „Es gibt in allen 28 Mitgliedsstaaten der EU keine zwei Länder, in denen sich die Regelungen ähneln“, sagt Reda. „Der Austausch von Wissen über Landesgrenzen hinaus wird damit wirklich zum Problem. Was in Deutschland geht, ist anderswo verboten. Da verliert man schon mal den Durchblick.“

Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort mit Sitz in München dagegen sind mit dem Urheberrecht in seiner bisherigen Form in großen Teilen zufrieden. „Das Urheberrecht hat sich auch in der digitalen Welt grundsätzlich bewährt“, sagt Geschäftsführer Robert Staats. Er sieht dennoch Veränderungsbedarf. „Aus unserer Sicht ist eine angemessene Vergütung von Urhebern bei der gesetzlich erlaubten Privatkopie – auch im digitalen Bereich – ein wichtiger Punkt.“ Im Mittelpunkt der Überlegungen sollten laut Staats die Urheber und sonstige Rechteinhaber stehen und die Position der Verwertungsgesellschaften als „Selbsthilfeorganisationen der Rechtsinhaber“ anerkannt und gestärkt werden. „Das schließt es aber nicht aus, die Interessen der Nutzer in angemessener Weise zu berücksichtigen.“

Die fünf am häufigsten genannten Forderungen bei einer Befragung von Nutzern durch die Europäische Kommission im Jahr 2013 sind: stärkere Rechte für Nutzer, ein einheitliches Urheberrecht für Europa, kürzere Schutzfristen nach dem Tod des Urhebers, Verlinkung, ohne dafür eine Gebühr zahlen zu müssen, und eine „Fair-Use-Klausel“, die nicht autorisierte Benutzung geschützten Materials erlaubt, wenn es der öffentlichen Bildung und dem kreativen Prozess dient. Über 11 000 Menschen und Organisationen machten bei der Befragung mit. „Weil das Thema Auswirkungen auf das tägliche Leben vieler Menschen hat“, sagt Reda. Es sei bezeichnend, dass in einer Zeit „generell steigender EU-Skepsis“ der Wunsch nach einer europaweit harmonischen Richtlinie so stark ausgeprägt sei.

Dass es eine Änderungen des Urheberrechts geben muss, darin herrscht Konsens. In welcher Form das passiert, werden die kommenden Monate zeigen. Nach den Abstimmungen des Rechtsausschusses im April und des Plenums im Mai soll im Sommer ein erster Gesetzesentwurf vorliegen. Klar ist für Julia Reda, dass die aktuelle Ausgangsposition eine große Chance für das Europäische Parlament ist, das Urheberrecht auf einen neuen, guten Weg zu bringen und es fit für die digitale Realität zu machen. „Die fundamentalen Probleme der Richtlinie liegen in ihrer Struktur“, erklärt sie. „Ideal wäre, die 28 Urheberrechte durch ein europaweites Gesetz zu ersetzen.“