Berlin
Große Koalition wird zur Zerreißprobe

Die Sozialdemokraten streiten immer heftiger und CSU-Chef Seehofer schickt Mitleidsbekundungen

15.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:57 Uhr

Berlin (DK) Andrea Nahles platzt der Kragen: "Mutwillig" werde das Sondierungsresultat zerpflückt, schimpft die SPD-Fraktionschefin gestern. Sie will den Gegnern einer neuen großen Koalition einen Maulkorb verpassen und das Mäkeln und den Ruf nach Nachbesserungen aus den eigenen Reihen zum Verstummen bringen. "Es scheint einen harten Kern von Gegnern zu geben, der sich um die Jusos geschart hat", sagt sie im Interview mit unserer Berliner Redaktion. Die Jusos wollten Fundamentalopposition machen, knöpft sich Nahles den Parteinachwuchs vor.

Riesenzoff statt geschlossener Reihen bei den Sozialdemokraten. Immer neue Forderungen nach Nachbesserungen, immer neue Kritik an dem, was die Parteispitze in den Verhandlungen mit der Union herausgeholt hat, was nun die Grundlage für Koalitionsverhandlungen bilden soll. Die Stimmung ist im Keller. Kann es Nahles und Schulz noch gelingen, bis zum kommenden Sonntag die Mehrheit der 600 Delegierten auf ihre Seite zu ziehen und von einem "Ja" zur Neuauflage von Schwarz-Rot zu überzeugen? Zumindest bleibt viel Arbeit. Schicksalswoche für die SPD - und auch für die Union und Kanzlerin Angela Merkel, die bei einem Abbruch der Regierungsbildung eineinhalb Monate nach dem Jamaika-Aus ein zweites Mal mit leeren Händen dastünde und einen massiven Autoritätsverlust zu befürchten hätte.

Merkel kann nur abwarten, die CDU-Gremien haben schon grünes Licht gegeben und damit der Kanzlerin den Rücken gestärkt. Auch der Vorstand der Schwesterpartei CSU billigte gestern Mittag das Sondierungsergebnis ohne jedes Murren. Die engsten Führungszirkel der Unionsparteien treffen sich am kommenden Sonntagabend, um sofort auf den Ausgang des Sonderparteitags der SPD reagieren zu können.

Schulz schaltet gestern Abend derweil auf Attacke, wirbt vor der Basis in Dortmund für die Groko. "Ich ermutige alle, die zufrieden sind, das laut zu sagen", so der Parteichef. Heute geht es in Düsseldorf weiter. Nordrhein-Westfalen stellt am Sonntag 144 Delegierte, ist damit der mit Abstand wichtigste Landesverband auf dem Parteitag. Landesvorsitzender Michael Groschek - selbst auch kein ausgewiesener Freund der Groko - ist inzwischen auch auf Schulz' Linie eingeschwenkt und müht sich, die Kritiker zu mäßigen: "Wir dürfen nicht mehr versprechen, als wir am Ende halten können."

Ralf Stegner, Parteivize vom linken Flügel und Skeptiker in puncto große Koalition, legt hingegen gestern kräftig nach. Das Sondierungsergebnis sei kein Koalitionsvertrag. "Es wird jetzt so getan, als sei alles schon verhandelt - das ist es mitnichten." Zwar will auch er Koalitionsverhandlungen, pocht aber weiter auf Nachbesserungen, etwa auf die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Auch Juso-Chef Kevin Kühnert, lautestes Sprachrohr der Kritiker, will sich von Nahles, Groschek und Schulz den Mund nicht verbieten lassen: "Abseits der Parteiführung gibt es in der SPD aktuell ein extrem kontroverses Stimmungsbild", befeuert er die Debatte und sieht das Ergebnis des Parteitages offen.

Schulz in Nöten - bei der CSU sorgt das für eine Art Mitgefühl. "Als langjähriger Politiker weiß ich, dass solche Prozesse in einer so gebeutelten Partei normal sind", sendet Parteichef Horst Seehofer Solidaritätsbekundungen an Schulz. Er betrachte die Diskussion der Genossen "mit Respekt", sagt er gestern und distanziert sich damit von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der sich über einen "Zwergenaufstand" der Jusos mokiert hatte.

Bewegung der Union im Streit über die SPD-Wünsche nach der Bürgerversicherung oder Steuererhöhungen für Spitzenverdiener erteilt Seehofer aber eine Absage. Und auch der designierte bayerische Ministerpräsident Markus Söder legt nach. "Wenn Koalitionsverhandlungen kommen, werden die Dinge konkretisiert, aber sie werden nicht neu aufgemacht."