Berlin
"Gefährliche Abwärtsspirale"

Viele Betriebe finden keine Auszubildenden mehr DIHK warnt

18.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:46 Uhr

Berlin (DK) Fast ein Drittel der Unternehmen in Deutschland finden keine Azubis mehr. Bis zu 100 000 Ausbildungsplätze können in diesem Jahr nicht besetzt werden. Der Fachkräftemangel sei "zum Konjunkturrisiko Nummer eins" geworden, schlug der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, gestern bei der Vorstellung des DIHK-Ausbildungsberichts 2016 Alarm. 10 500 Betriebe haben sich an der Umfrage beteiligt. Hintergründe zum Ausbildungsbericht:

Welche Bestandsaufnahme hat der DIHK vorgelegt?

Von den 190 000 Ausbildungsbetrieben können 31 Prozent ihre Plätze nicht besetzen. Das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Fast jeder zehnte Betrieb (15 500) erhielt im vergangenen Jahr keine einzige Bewerbung. DIHK-Präsident Schweitzer spricht von einer "gefährlichen Abwärtsspirale". Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren Ende letzten Jahres 40 000 Stellen unbesetzt. Der DIHK schätzt die tatsächliche Zahl der offenen Ausbildungsplätze auf 100 000.

 

Was sind die Gründe für die Krise?

Die Zahl der Bewerber ist binnen zehn Jahren um 200 000 eingebrochen. Das liegt zum einen daran, dass wegen der geburtenschwächeren Jahrgänge die Zahl der Schulabgänger um 150 000 gesunken ist. Zugleich hält der Run auf die Hochschulen an - 2016 haben mehr als eine halbe Million junger Menschen ein Studium begonnen, die Zahl der Studierenden stieg um zwei Prozent.

 

Welche Möglichkeiten zum Gegensteuern gibt es?

Der DIHK wirbt massiv um Schulabgänger, um sie für eine betriebliche Ausbildung zu gewinnen. Die wichtigsten Argumente: Sichere Jobs - die Arbeitslosigkeit bei Facharbeitern und höher qualifizierten Fachkräften liegt bei 1,8 Prozent - und gute Bezahlung, oft höher als für Akademiker. "Wer einen Ausbildungsplatz antritt, bekommt so gut wie immer einen Job, ganz anders als bei Studienanfängern", erklärte Schweitzer. Wie sinnvoll es für viele Abiturienten ist, den Ausbildungsberuf in Betracht zu ziehen, zeigt die enorm hohe Zahl von Studienabbrechern - 160 000 im vergangenen Jahr. Und 43 Prozent von ihnen entschieden sich nach der Exmatrikulation für eine betriebliche Ausbildung - der Anteil verdoppelte sich gegenüber 2008.

 

Welche Forderungen gibt es an die Politik?

Von der Regierung und den Ländern fordert der DIHK, die Berufsorientierung an Schulen - insbesondere an Gymnasien - zu verbessern, damit sich die Abiturienten für eine Ausbildung statt ein Studium entscheiden. Weitere Forderung des DIHK: Die Berufsschulen für das Zeitalter der Digitalisierung zu rüsten. Gerade in ländlichen Regionen machen immer mehr Berufsschulen dicht, weil es weniger Schüler gibt. Um längere Wege zu vermeiden, müssten digitale Kommunikationsmittel aufgebaut werden.

 

Können die Flüchtlinge die Lücken auffüllen?

Es gibt Fortschritte bei der Integration der Flüchtlinge, aber das Potenzial ist der DIHK-Umfrage zufolge viel höher, wird jedoch häufig von den Ausländerbehörden blockiert. 15 000 junge Flüchtlinge befinden sich derzeit in einer IHK-Ausbildung. Das Problem: Die Regelung, wonach Flüchtlinge mit einem Ausbildungsplatz drei Jahre lang nicht abgeschoben werden und bei anschließender Übernahme zwei weitere Jahre bleiben dürfen, werden von den Ausländerbehörden nach Angaben des DIHK oft nicht respektiert. So komme es immer wieder zu Abschiebungen aus Ausbildungen heraus. "Aber kein Unternehmen stellt einen Flüchtling ein, wenn es befürchten muss, dass er nicht lange bleiben kann", erklärte Schweitzer.