Europa bröckelt

Kommentar

22.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:19 Uhr

Und schon wieder ein Rechtsruck: Nach Ungarn, Polen und Österreich jetzt auch Tschechien. Einmal mehr gehen Populisten mit Anti-Europa- und Anti-Ausländer-Parolen als große Sieger aus einer Wahl hervor. Noch nicht einmal, dass gegen Andrej Babis ein Verfahren ausgerechnet wegen Millionenbetrugs mit EU-Subventionen läuft, konnte seine Landsleute davon abhalten, ihn zum designierten Regierungschef zu küren.

Sich aus EU-Kassen bedienen, wo es nur geht, ansonsten aber auf Europa pfeifen - ganz besonders, wenn Solidarität nötig wäre -, das scheint ein probates Erfolgsrezept zu sein.

Das gilt nicht nur bei der Flüchtlingspolitik. Das vergleichsweise wohlhabende Katalonien will weg von Spanien, und in Italien wollen die reichen Regionen Lombardei und Venetien, beide von der rechtspopulistischen Lega Nord regiert, möglichst wenig Steuergelder an Rom abführen. Zwar ist hier von Abspaltung nicht die Rede, aber den Wohlstand mag man mit den Rest-Italienern nicht teilen. Dabei ist Abschottung in der heutigen Welt weder möglich noch sinnvoll - in praktisch allen Bereichen sind die Folgen desaströs, wenn neue Grenzwälle aufgeschüttet werden. Aber Populisten geht es nicht um sinnvolle Politik, sondern darum, gewählt zu werden. Und sehr vielen Europäern braucht man da mit europäischen Grundwerten wie Solidarität eben nicht zu kommen, schon gar nicht, wenn die mit Einschränkungen verbunden sind.

Irgendwie kommt der europäische Geist inzwischen daher wie der Osterhase. Man kann über ihn reden, ihn sich ausmalen, aber mit dem wirklichen Leben hat er nichts zu tun. Da gegenzusteuern und die EU wieder populärer zu machen, das wäre in erster Linie Aufgabe der EU-Kommission und noch mehr der europäischen Regierungen. Aber Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fällt zur Rettung der EU nur ein, die Euro-Zone nach Osten und Südosten auszudehnen und im Übrigen Balkanstaaten als neue Mitglieder aufzunehmen, also erkannte Irrwege stur weiterzugehen.

Nach dem Ausfall Junckers wäre es umso wichtiger, dass die Regierungen, die sich noch zur EU bekennen, aktiv werden. Aber da kommt einfach nichts. Mit einer Ausnahme: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eine Vision für die Gemeinschaft entwickelt. Und prompt blockt Deutschland - neben Frankreich die andere Hauptstütze der Union - jede substanzielle Reform ab. Bei solchen Verteidigern der EU ist jeder Angriff auf sie ein Kinderspiel.