Der Wendige

Kommentar

20.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:37 Uhr

Horst Seehofer ist doch immer wieder für eine Überraschung gut, die Volten des CSU-Chefs sind legendär. Gestern hat er in der ARD für einen Paukenschlag gesorgt: Plötzlich war die Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen im Jahr keine Koalitionsbedingung mehr für den Christsozialen.

Quasi im Vorbeigehen räumte er den größten Konflikt innerhalb der Unionsfamilie aus dem Weg und ging auf die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel zu. Doch dann ruderte Seehofer zurück, fühlte sich falsch verstanden. Die Wende von der Wende? Auch nach seiner Klarstellung bleibt der Eindruck, dass das Festhalten an der Obergrenze nicht mehr ganz so strikt ist wie bisher.

Dass sich die Situation und der Kurs in Berlin verändert haben, wie er argumentiert, ist nicht von der Hand zu weisen. Außerdem: Als er im Januar die Obergrenze ultimativ forderte, schien Sozialdemokrat Martin Schulz eine reelle Chance zu haben, Merkel aus dem Kanzleramt und damit die bayerischen Christsozialen aus den Berliner Ministerämtern zu vertreiben. Mit seinem Versprechen wollte er die Parteibasis bei Laune halten, die sich zu dem Zeitpunkt extrem schwertat mit der Vorstellung, engagiert für Merkel in den Wahlkampf zu ziehen. Das hat sich geändert.

Nicht zuletzt unter dem Eindruck des Terroranschlags von Berlin hat sich einiges getan in der Flüchtlings- und Sicherheitspolitik. Außerdem sind in diesem Jahr bislang wesentlich weniger Asylsuchende nach Deutschland gekommen, die 200 000er-Marke wird womöglich gar nicht überschritten.

Merkel allerdings sollte sich keinen Illusionen hingeben: Eine Abkehr von der Obergrenze nach der Wahl und in eventuellen Koalitionsverhandlungen wird sich Seehofer teuer bezahlen lassen. Spätestens bei der Postenverteilung und der Besetzung des Innenressorts. Joachim Herrmann steht bereit.