Ingolstadt
"Patienten machen sich oft zu wenig Gedanken"

16.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:57 Uhr
Organspenden in Deutschland
Durch einen Klick auf die Grafik sehen Sie diese in voller Auflösung. −Foto: AFP

Es sind die niedrigsten Zahlen seit 20 Jahren: Laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wurden im vergangenen Jahr bundesweit nur 2594 Organe gespendet. In Bayern hingegen nahm die Zahl der Spenden zu. Die DSO führt das unter anderem auf die Transplantationsbeauftragten zurück, die extra ausgebildet und freigestellt werden. Wir haben mit Oberärztin Angelika Grünes gesprochen, die diese Aufgabe am Klinikum Ingolstadt übernommen hat.

Frau Grünes, was ist Ihre Aufgabe?

Angelika Grünes: Es gibt einige Kernaufgaben, die gesetzlich festgelegt sind. Das ist etwa die Sicherstellung, dass wir alle Patienten melden, die für eine Organspende infrage kommen. Und dann müssen im Krankenhaus viele Verfahrensweisen und Handlungsabläufe festgelegt werden, die die Organentnahme betreffen. Zwischen den Fachabteilungen sind viele Absprachen zu treffen. Bei der Hirntoddiagnostik muss zum Beispiel ein Neurologe oder ein Neurochirurg mit dabei sein, bei Kindern ein Pädiater. Ich habe zudem Kontakt zu den umliegenden Krankenhäusern und bin Ansprechpartnerin der DSO. Des Weiteren organisiere ich Seminare hier im Haus und kümmere mich darum, dass junge, neue Kollegen auf der Intensivstation über Organspende Bescheid wissen. Eine weitere Aufgabe ist es, die Angehörigen zu betreuen.

 

Wie viele Patienten haben Sie denn pro Jahr, die für eine Spende infrage kommen? Und bei wie vielen von ihnen wird tatsächlich ein Organ entnommen?

Grünes: 2017 hatten wir 17 Meldungen, also Patienten, bei denen ich und meine Kollegen dachten, dass sie Organspender werden könnten. Es kam zu fünf Transplantationen. 2016 waren es 14 Meldungen und sechs Organspenden.

 

Wenn es zur Organentnahme kommt, wie geht es weiter?

Grünes: Das Organ wird bei uns entnommen, aber wir transplantieren nicht selbst. Wir haben auch keinen Einfluss darauf, wohin es kommt. Organe werden über Eurotransplant verteilt (Anm. Red.: Vermittlungsstelle für Organspenden mit Sitz in den Niederlanden). DSO-Mitarbeiter melden alle Informationen - Blutwerte, Blutgruppe, Gewebezusammensetzung etc. - an Eurotransplant, damit das Organ an den möglichst idealen Empfänger gehen kann. Es wird dann direkt von der Klinik an das jeweilige Transplantationszentrum geschickt.

 

Eine Ihrer Aufgaben ist es, mit den Angehörigen zu sprechen. Wie schwierig ist es für sie, zu entscheiden, wenn kein Organspendeausweis vorliegt?

Grünes: Wenn kein Wille des Patienten bekannt ist, ist es sehr schwierig. Denn man muss in kurzer Zeit eine Entscheidung treffen, obwohl man sich eh schon in einer Extremsituation befindet, weil ein Mensch gestorben ist, den man liebt. Und dann soll man auch noch entscheiden, was mit dessen Organen passiert. Das ist natürlich leichter, wenn man den Willen des Patienten kennt. Ideal ist es, wenn dieser schriftlich fixiert ist.

 

Aber Sie müssen die Angehörigen dazu befragen, oder?

Grünes: Ja, das ist unsere Pflicht. Wir sind auch die Einzigen in diesem Moment, die danach fragen können.

 

Die DSO sieht das Problem, dass es zu wenig Organspenden gibt, nicht unbedingt in der mangelnden Spendenbereitschaft, sondern in den Organisationsstrukturen der Kliniken begründet. Was meinen Sie dazu?

Grünes: Die Frage ist schwer zu beantworten. Ich glaube, es ist ein multifaktorielles Problem. Man kann nicht klar sagen, dies oder jenes ist der Punkt, in dem der Fehler steckt. Sicher wird es in Krankenhäusern oft übersehen, die Angehörigen zu fragen oder an Organspende zu denken, aber meines Erachtens machen sich auch die Patienten selbst oft zu wenig Gedanken. Man sieht es ja an den Umfragen in der Bevölkerung: 75 bis 80 Prozent stehen der Organspende positiv gegenüber, aber nur 25 Prozent haben einen Organspendeausweis.

 

Was halten Sie davon, die Organspende neu zu regeln, also weg von der Entscheidungs- und hin zur Widerspruchslösung?

Grünes: Persönlich bin ich für die Widerspruchslösung, weil es die Leute einfach dazu zwingen würde, sich Gedanken über dieses Thema zu machen. Ob es tatsächlich den erhofften Erfolg bringt, weiß ich nicht. Wenn man in Deutschland die Organspende wirklich fördern will, muss man an vielen Ecken ansetzen. Andere Länder akzeptieren teilweise ganz andere Spender. Bei uns ist nur die Spende nach dem Hirntod erlaubt, in anderen europäischen Ländern - Spanien wird ja immer lobend erwähnt - kann man auch Organspender werden, wenn das Herz stehen bleibt. Das ist ein schwieriges Thema. Aber dadurch kommen in anderen Ländern die besseren Zahlen zustande.