Talkshow mit Verdi

27.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:52 Uhr

Talk und Tragödie, dicht an dicht: Stiffelio (Olivier Trommenschlager) stellt Stankar (Torsten Petsch) schmerzhafte Moralfragen - Foto: Jackl

München (DK) Nach Britten im Schwimmbad und Gluck in der Fußgängerunterführung scheint dieses Mal der temporäre Opernsaal für die Sommerpause fast ein wenig harmlos: Im Arri-Studio werden sonst „Die Anstalt“ oder „Pelzig hält sich“ aufgezeichnet.

Im wohlbekannten Fernsehstudio steht alles bereit, doch nicht der Cordhütchenträger Erwin Pelzig eröffnet die Aufzeichnung, sondern eine sichtlich aufgeregte italienische Moderatorin: Sie hat sich ein großes Thema vorgenommen in ihrer Talkshow „Europa Oggi“ (Europa heute). „Glaube und Zweifel – das Wiedererstarken fundamentalistischer Christen“. Und sie ahnt vielleicht, dass ihr dieser große Happen unbekömmlich werden könnte. Die Südtiroler Sopranistin Elisabeth Margraf hat der Regisseur Andreas Wiederman als Cousine der Hauptfigur in Verdis „Stiffelio“ gekapert und sie als Fernsehtussi in seine geschickt konstruierte Rahmenhandlung gepackt, wo sie nun höchst versiert das Opernpublikum mit Lach- und Applausproben anheizt, bis alle ahnen: Das hier wird kein langweiliger Abend. Denn Wiedermanns Konzept geht auf: Verdis Eifersuchtstragödie, heute vielleicht nur deswegen so selten aufgeführt, weil er sie mit seinem „Rigoletto“ selbst so grandios übertrumpft hat, passt sich prima in die Talkshow-Vorgabe ein. Gelegentlich gibt es bei Bühnenhandlung, Übertiteln und Filmeinspielung so viel zu gucken, dass sich eine gewisse Atemlosigkeit einstellen mag. Selbst dass er die Sekte, die hier ihre Fäden spinnt, ein wenig zu harmlos interpretiert, wenn sie letztendlich doch zum Mord als letztes Mittel greifen wird, fügt Wiedermann mit einem finalen Kunstgriff zu einem stimmigen Ganzen. Mancher reibt sich verwundert die Augen: Man ging in „Stiffelio“ und es war eine Komödie! Dafür übersieht das Sommer-Opernpublikum gern die dramaturgischen Schwächen der Verdi-Oper, aber auch die technisch (noch) begrenzten Möglichkeiten der Solisten, die sich zumeist in der Ausbildung am Salzburger Mozarteum befinden. Regisseur Wiedermann beherrscht sein Metier und holt aus einer womöglich noch ein wenig blassen Bühnenpräsenz mit den Mitteln der Überzeichnung, des Gegen-den-Strich-Besetzens und der Karikatur ein Maximum heraus. Glücklicherweise lässt auch der musikalische Leiter Ernst Bartmann seine jungen Sänger nicht im Regen stehen und hält mit seinem Taktstock gleichzeitig das transparent musizierende, zehnköpfige Kammerorchester wie den engagiert mitspielenden Laienchor in Schach.

Die Operntruppe allerdings muss nun langsam ihren Namen ändern – in München und darüber hinaus ist sie längst keine incognita mehr, sondern ein wohlbekannter Garant für frisch gedachte und spannend gemachte Kammeroper.

„Stiffelio“ ist im Arri-Studio in der Münchner Türkenstraße noch heute, Freitag, und morgen, Samstag, zu sehen, jeweils um 19.30 Uhr.