Schrobenhausen
Auf der Jagd nach der perfekten Linie

Vitali Konstantinov ist derzeit Dozent an der Schrobenhausener Sommerakademie Heute Abend liest er aus seinem Dostojewski-Comic

03.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:41 Uhr

Foto: DK

Schrobenhausen (DK) Es musste ja so kommen - mit diesem Dostojewski-Comic. Denn der Vater hatte eine gut sortierte Dostojewski-Bibliothek und las an den Abenden der Familie daraus vor. Und die Mutter förderte als Bildhauerin und Kunsthistorikerin schon früh das zeichnerische Talent des kleinen Sohnes. Vitali Konstantinov, 1963 in Odessa geboren, hat vergangenes Jahr die erste Graphic Novel zu Fjodor Michailowitsch Dostojewski herausgebracht, die Biografisches mit Romanen wie "Schuld und Sühne", "Der Idiot" oder "Die Brüder Karamasow" mischt. "Simultan-Comic" nennt Konstantinov seine Technik, in der er - in Anlehnung an barocke Conclusia-Grafiken - Schlüsselszenen aus den Werken collagenartig zu komplexen Kunstwerken baut. Und nebenbei die Verflechtung von Leben und Literatur deutlich macht.

Heuer ist er Dozent der Literarischen Sommerakademie Schrobenhausen und hält dort einen Graphic-Novel-Workshop ab - mit neun Teilnehmern von 17 bis 70 Jahren, die unterm Dach der VHS bei diesen sommerlichen Temperaturen ganz schön ins Schwitzen kommen. Am heutigen Freitag präsentieren sie um 20 Uhr im Juze Greenhaus ihre Arbeitsergebnisse. Dann wird auch Vitali Konstantinov seinen "Dostojewski"-Comic vorstellen und aus Briefen und Tagebucheinträgen lesen, die als Primärquellen bei der Arbeit Verwendung fanden. "Als Schriftsteller hatte Dostojewski einen hohen Anspruch. Aber in seinen Briefen gab er sich total salopp. Da ist er sehr direkt, bescheuert, selbstverliebt, größenwahnsinnig, verzweifelt, richtig menschlich", erzählt Konstantinov. "Für die Sprechblasen habe ich Schnipsel daraus benutzt. Aber am Abend lese ich ganze Briefe, etwa aus seiner Kindheit oder über den Aufenthalt an der Militärakademie. Da erfährt man viel über das Verhältnis zum Vater." Dazu gibt es Balalaika-Karaoke und russische Volkslieder zum Mitsingen.

Aber wie ist Vitali Konstantinov überhaupt Comic-Zeichner geworden? "Ich habe als Kind schon viel gezeichnet und sogar Bücher, die keine Illustrationen hatten, mit Illustrationen versehen", erzählt er in der Mittagspause seines Workshops im Café. "Da gab es einen Märchenband - eher so eine akademische Ausgabe für Erwachsene. Die Geschichten spielten in einer bizarren kaukasischen Welt voller Monster. Ich war vielleicht in der vierten Klasse und habe fleißig illustriert und die Zeichnungen zwischen die Seiten gelegt." Ob da schon der Wunsch reifte, Illustrator zu werden? "Vielleicht", sagt er. "Aber das war in der Sowjetunion schwierig. Da bedurfte das Leben vieler Kompromisse."

Um nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden (es war die Zeit des Afghanistan-Kriegs), studierte Konstantinov Architektur. "Eigentlich ein sehr interessantes Fach. Denn man bekommt einen anderen Bezug zur Realität. Weil es mit Ästhetik, aber auch mit Verantwortung im echten Leben zu tun hat." Zehn Jahre arbeitete er als Architekt - vor allem im Denkmalschutz. Dann kam er nach Deutschland, um weiter zu studieren: Grafik, Malerei und Byzantinische Kunstgeschichte in Marburg.

Ein befreundeter Designer sah seine Zeichnungen und machte ihn auf einen Wettbewerb im Rahmen der Kinderbuchmesse in Bologna aufmerksam. Dort genießt die Buchillustration seit jeher besondere Beachtung. Konstantinov schickte einige Arbeiten hin - und wurde ausgezeichnet. "Da stand dann ,best illustrator of the world €˜ - und dabei war ich doch gar kein Illustrator", sagt Konstantinov, und es scheint so, als wundere er sich noch heute darüber. Aber: Plötzlich war er Teil der Szene und des Verlagsgeschäfts, bekam Lehraufträge und unterrichtete u. a. Buchillustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.

Ein "Glücksfall" war für ihn auch die Zusammenarbeit mit Wladimir Kaminer, dessen Bücher er alle illustriert hat. "Kaminer ist eine Lokomotive. Er ist nicht nur ein sehr kluger Mensch, sondern vielmehr ein gut gemachtes Produkt."

Natürlich hat Konstantinov viele Ideen für Projekte. "Aber ohne Auftrag kann ich es mir nicht leisten, sie umzusetzen. Der Dostojewski-Comic hat beispielsweise von der Idee bis zum Druck zwei Jahre gedauert."

Aber als 2014 Eckhard Henscheids Buch "Dostojewskis Gelächter" bei Piper erscheinen sollte, wurde Konstantinov mit dem Cover beauftragt. "Für mich war die Auseinandersetzung mit Dostojewski sehr erfrischend. Ich kannte ja vieles und fand, dass Henscheid gut beobachtet hatte. Ich dachte mir: Dostowejski ist so cool. Warum frische ich meine Beziehung zu ihm nicht wieder auf? Also recherchierte ich für diesen kleinen Auftrag schon sehr viel. Dann konnte ich diese Welle nicht mehr stoppen." Als er seine Bilder in dieser Tattoo-Ästhetik später auf der Messe in Bologna zeigte, kam es zum Dostojewski-Comic und zur Zusammenarbeit mit dem Knesebeck-Verlag.

"Ich habe während des Zeichnens viele Hörspiele gehört, man sucht ja nach Schlüsselszenen für die Bilder. Und natürlich will man keine Fehler machen. Deshalb sind auch Details wichtig: Haben die Gitarre oder Balaleika gespielt, hatten sie schwarze Haare oder Glatzen" Wenn Konstantinov zeichnet, und das tut er an seinem Leuchttisch ("Denn ich bin ja auf der Jagd nach der perfekten Linie"), sind Augen und Hände besetzt, aber der Kopf ist frei. Dann hört er oft Musik - rumänische Zigeunermusik, Strawinski, Blues oder meditative Sufi-Gesänge.

Den Dostojeski-Comic hat er mit Bleistift gezeichnet. Wie entscheidet er sich denn für das Material, für Feder, Papier, Farbe? "Das ist schwer. Es gibt ja Leute, die haben eine Technik für alles - und das funktioniert. Ich werde müde, wenn ich immer das Gleiche mache." Ein Blick auf sein umfangreiches Schaffen (www.pittore.de) zeigt, dass er davon weit entfernt ist.

 

Heute, Freitag, 20 Uhr, Juze Greenhaus, Bürgermeister-Stocker-Ring 47, Schrobenhausen, ComicFest mit Dostojewski, interaktive Lesung mit Vitali Konstantinov.