Schelldorf
Sirenenklänge und Jodelsequenzen

Christoph Well und Franz Hauk spielen barocke und moderne Werke in der Kirche St. Laurentius in Schelldorf

04.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:24 Uhr

In Robert Maximilian Helmschrotts "Bucolica" kommt auch ein Alphorn zum Einsatz. - Foto: Erl

Schelldorf (er) Man meint, eine leichte Dissonanz zu spüren. Nicht in der Musik, nicht im Orgelspiel von Franz Hauk und in der nahtlosen Harmonie zur Trompete von Christoph Well. Die gefühlte Dissonanz hat ihren Ursprung in der Örtlichkeit. Hier die üppigen, kunstvoll gedrechselten und mächtig von den vielen Orgelpfeifen klingenden barocken Akkorde von Johann Sebastian Bach sowie seinen Zeitgenossen Jeremiah Clarke und Giuseppe Tartini. Auf der anderen Seite die geradlinige, geradezu asketische Architektur der 1973 fertiggestellten St.-Laurentius-Kirche in Schelldorf mit den vielen glatten Wänden, die Schlichtheit, Distanz und Kühle ausstrahlen. Es ist ein reizvoller Kontrast für das Festkonzert zum Tag der Deutschen Einheit im Rahmen der Ingolstädter Orgeltage 2017.

Hauk und Well haben schon viele Konzerte gemeinsam gestaltet, etwa die Silvesterkonzerte im gotischen Liebfrauenmünster von Ingolstadt oder in verschiedenen Barockkirchen. Die neuzeitliche Architektur schreckt sie nicht. "Wir spielen in so einer modernen Kirche nicht grundsätzlich anders. Wir versuchen, die Leute gut zu unterhalten", versichert Hauk als Organist und künstlerischer Leiter der Orgeltage.

Mögen die Noten der Komponisten auch die gleichen sein, in diesen Wänden wird das Spiel der Instrumente dennoch ein klein wenig anders wahrgenommen. Wo sich die Trompetenklänge aus Clarks Suite D-Dur für Trompete und Orgel sonst um üppige Putten, vergoldete Schnörkel und gewundene Stuckelemente schmiegen, wirkt das Vibrato aus der Piccolotrompete von Christoph Well mit seinem Nachhall von den weißen Ziegelmauern eigentümlich kühl. Den verspielten Klängen von Giuseppe Tartini aus seinem Concerto D-Dur für Trompete und Orgel ergeht es nicht viel anders.

Für die Toccata und Fuge d-Moll (BWV 565) von Bach aber hat Hauk hier ein ideales Instrument gefunden. Hier kann er die Stärken der Orgel mit ihrer wuchtigen Klangfülle ausspielen, und es dauert einen guten Takt lang, bis die letzten Sequenzen der Bachschen Klangorgie von den Wänden zurück ins Publikum reflektieren und im Kirchenraum verebben. Hauk nutzt das frappierende Spektrum der machtvollen Orgel in zwei Choralbearbeitungen des Barockkomponisten (BWV 647 und BWV 645) für fantasiereiche Klangfarben, die den Weg aus dem Barock hin zur Moderne andeuten.

Es ist ein geschickt gewählter Übergang, denn ohne diese Hinwendung wäre der Wechsel zur Komposition "Bucolica" von Robert Maximilian Helmschrott zu heftig. Helmschrott hat dieses Stück für Orgel und vieles mehr den Interpreten Hauk und Well richtiggehend auf den Leib geschrieben. An diesem Abend sitzt er sogar im Publikum. Vor allem aber hat Helmschrott der enormen Vielfalt an Instrumenten wie Trompete, Flöten, Alphorn, Harfe, Hackbrett, Kuhglocke, Maultrommel, die Well spielt, einen eigenständigen Platz gegeben. Der Komponist verbindet diese Instrumente durch kleine Zwischenspiele der Orgel. Entstanden ist eine "Hirtendichtung" voller faszinierender Leidenschaft. Urgewaltig, feinsinnig-filigran und brachial-archaisch in einem, etwa wenn Well mit dem Dudelsack durch die Bankreihen marschiert. Und auch Orgel kann hier ganz anders - zumal mit so einem kongenialen Partner wie Stofferl Well in gemeinsamen Spielereien durch diese Zauberwelt der Noten und Instrumente. Hier kommt in Architektur und Musik zusammen, was wunderbar zusammenpasst.

Die Ballastsaite im Mittelgang der Kirche - dieser Galgen, an dem ein Bronzestab an einer dünnen Saite hängt - erzeugt dabei eine eigene Mystik. Well schlägt, klopft, streicht und streichelt daran und erfüllt den Raum mit mystisch-sphärischen Sirenenklängen, die er mit einer Jodelsequenz beschließt. Minutenlange stehende Ovationen sind das einzige Ventil für die Besucher, um aus diesem Rausch der Sinne wieder in die Realität zurückzukommen.