Salzburg
Furioses und Filigranes

Konzert-, Klavier- und Liederabende bei den Salzburger Festspielen: Gerhaher, Sokolov und Haitink werden gefeiert

06.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:41 Uhr

Salzburg (DK) Das sommerliche Festival an der Salzach besteht seit seiner Gründung im Jahre 1920 durch Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal ja nicht nur aus dem "Jedermann", der in der diesjährigen Neuinszenierung sehr blass ausgefallen ist, oder aus hochkarätig besetzten Opern und Schauspielen, sondern auch aus exquisiten Orchester-, Klavier- und Liederabenden. Musikkenner und -connaisseurs ziehen diese stilleren Momente in den Festspielhäusern und in den Kirchen rund um den Domplatz so manchen allzu glamourösen Events denn auch vor.

Und diese musikalischen Erlebnisse hat der neue Intendant Markus Hinterhäuser besonders gepflegt.

Welch ein Kontrast: Während durch die Gassen unterhalb des Mönchbergs laue Lüftchen wehen, die Saunatemperaturen am Abend immer noch Höchstgrade erreichen und die in hübschen Kimonos gewandeten Japanerinnen auf der Terrasse des Tomaselli-Cafés mit ihren Fächern Kühlung sich zuwedeln, kündet's im Festspielhaus nicht von der Schönheit des Sommers, sondern von Trauer, Tod, enttäuschter Liebe und der Vergänglichkeit des Lebens. Mit "Requiem", "Kommen und Scheiden" und "Tragödie" sind die Lieder überschrieben oder tragen Titel wie "Einsamkeit", "Mädchen-Schwermut" und "Schöne Wiege meiner Leiden". Christian Gerhaher hat für seinen Festspielauftritt drei Dutzend melancholische bis todernste, von Robert Schumann größtenteils zwischen 1840 und 1850 komponierte Lieder ausgesucht, die zu einem heiteren Sommerabend nicht so recht passen mochten, aber das Publikum restlos begeisterten. Kein Wunder, brachte Gerhaher doch mit seinem samtweichen Bariton und mit allergrößter Wortverständlichkeit die vertonten Gedichte in makellosem Legato zu Gehör. Und dass der weltweit gefeierte, 1969 in Straubing geborene Bariton einst Meisterschüler von Dietrich Fischer-Dieskau war, offenbart nicht nur seine famose Gesangskultur, sondern auch sein Auftreten: unprätentiös, zurückhaltend und ganz dem Lied verschrieben. Aber auch Gerold Huber, Gerhahers ebenbürtiger Begleiter am Klavier, tauchte tief in die romantische Weltschmerz-Seele ein. Musikalische Poesie vom Allerfeinsten.

Und im Großen Festspielhaus? Der Applaus wollte nicht enden, die Zugaben traditionsgemäß auch nicht. Sechs insgesamt, bis nach einem bewegenden, dreistündigen Klavierkonzert das Licht endgültig erlosch. Ist der 67-jährige Grigory Sokolov doch kein Tastengigant, sondern ein ebenso virtuoser wie sensibler Pianist, der mit seinem außerordentlichen Gespür für jede Tonnuance sein Publikum verzaubert und ins Schwärmen geraten lässt. Sein Auftritt ist legendär: ungerührt und starren Blickes steuert er auf dem Podium dem Steinway-Flügel zu, weltentrückt, vergeistigt, den Applaus negierend, um ganz versunken in die Tasten zu greifen. Und nach den Zugaben entließ Sokolov sein hingerissenes Publikum erst kurz vor Mitternacht in die vom Mond beschienene Salzburger Innenstadt in dem Bewusstsein, einem einzigartigen Klavierabend beigewohnt zu haben.

Zu einer musikalischen Sternstunde mit dem Prachtorchester der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Bernard Haitink geriet Gustav Mahlers zwischen 1906 und 1909 in seinem Südtiroler Urlaubsort Toblach letztes vollendetes Werk, die unter Todesahnung entstandene 9. Symphonie. Auch hier Abschied und Heimgang in dem 1912 in Wien unter Bruno Walters uraufgeführten, emotional tief anrührenden Musikwerk. Eine gigantische Herausforderung für jeden Dirigenten und jedes Orchester. Und der 88-jährige Haitink, der ebenso bedächtige wie stets voll Energie strotzende Pultvirtuose, ließ die so herrlich lyrisch-sensiblen Partien in Mahlers Komposition ebenso aufglimmen wie er vor allem die mit leidenschaftlicher Virtuosität komponierten Bläser- und Streicher-Passagen befeuerte.

Allein wie Haitink den 1. Satz als restlos verklärte Weihestunde zelebrierte, die er mit einer gewaltigen Eruption der Bläser konterkarierte und enden ließ, geriet zum Glücksfall einer differenzierten Interpretation. Oder wie er im 2. Satz dem Heiteren mit schier verzehrender Liebe zum Verspielten ebenso nachspürte wie er die schrillen Dissonanzen besonders hervorkehrte, die einen Totentanz auf dem Dorfplatz erahnen ließen. Diese scheinbare Diskrepanz zur Einheit verschmolzen, geriet zweifellos zum Höhepunkt dieser Interpretation.

Und auch das verklärte, ätherisch schwebende Finale war eine der ganz großen Höhepunkte der diesjährigen Salzburger Festspiele.