Nürnberg
Schuld und Sühne

Dea Lohers bedrückendes Familienstück "Am schwarzen See" an den Nürnberger Kammerspielen

22.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:05 Uhr

Galgenhumor in zunehmend aussichtsloser Situation: Zwei Ehepaare müssen sich mit dem gemeinsamen Selbstmord ihrer Kinder auseinandersetzen (von links: Heimo Essl, Elke Wollmann, Thomas Klenk und Nicola Lembach) - Foto: Bührle

Nürnberg (DK) Wenn der Sinn des Lebens darin liegt, keinen zu haben, warum sollte man das Leben dann leben? Auf diese Urfrage des Menschen hat das moderne Theater zwar keine Antwort gefunden, sie aber tiefschürfend mal existentialistisch (Sartre), mal absurd (Beckett) – künstlerisch aufgearbeitet.

Den jüngsten Versuch für die Bühne unternahm die 2009 mit dem Ingolstädter Fleißerpreis ausgezeichnete Dramatikerin Dea Loher (Jahrgang 1964). Jetzt stellte das Staatsschauspiel Nürnberg ihre (2012 in Berlin uraufgeführte) rabenschwarze Familientragödie „Am Schwarzen See“ vor.

Die 33 blitzlichtartig komponierten Szenen des Stücks leitet Regisseur Maik Priebe in den Kammerspielen jeweils mit einem verstörenden, klirrenden Geräusch ein. Dann Schlaglichter auf ein schick gestyltes Wohnzimmer (Bühnenbild: Susanne Maier-Staufen) mit finsterer Fensterfront, hinter der sich schemenhaft ein See spiegelt. Vor diesem düster dräuenden Hintergrund zwei Ehepaare, die sich Jahre nach dem gemeinsamen Freitod ihrer Kinder – eines Mädchens und eines Jungen, beide in der Pubertät und ineinander verliebt – treffen. Nach dem üblichen unverbindlichen Party-Parlando aber tuen sich nach und nach Abgründe und die Frage nach dem „Warum“ auf. Warum ertränkten sich die Kinder im See und hinterließen ihren Eltern die rätselhafte, doppeldeutige Botschaft „Das hier ist nicht schön! Das Hier ist nicht schön!“

Die elterliche Befindlichkeit, die Suche nach Schuld und Unschuld artikuliert Dea Loher in einer merkwürdig verschwommenen, stilisierten Sprache, die zuweilen in den Duktus Thomas Bernhards verfällt, mit der der österreichische Dramatiker seine Stücke ebenso im Ungefähren beließ. Und so vage, tastend und unsicher, mit ungewöhnlichen Zäsuren und Betonungen, in einer müden, abgehetzten Sprache stellen die Schauspieler auch ihre Rollen dar: Nicola Lembach und Elke Wollmann, die beiden Mütter Else und Cleo, auf verzweifelter Sinnsuche, bei der sich die eigenen Seelenabgründe auftun. Thomas Klenk als alerter Geschäftsmann Johnny, dem über Berufsstress und Karriere das Familienleben und die Kindererziehung eher fremd blieben. Und Heimo Essl als scheiternder Unternehmer Eddie, von Skrupeln und Komplexen heimgesucht.

Die Inszenierung der existentialphilosophisch aufgeheizten Rekonstruktion einer Tragödie endet recht symbolträchtig damit, dass das Fenster zum Schwarzen See zugemauert wird und die Eltern buchstäblich als „Geschlossene Gesellschaft“ (Sartre) zurückbleiben, gebrochen und ratlos. Ziemlich martialisch schneidet sich Else in ihrer Ohnmacht die Pulsader auf, was sich fast wie eine Anspielung auf Yasmin Rezas Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“ ausnimmt, in der das Thema – freilich als Farce – abgehandelt wird. Zurückhaltender Beifall eines betroffenen Publikums!

Weitere Vorstellungen heute und am 26. Oktober; am 15., 19. und 22. November sowie am 6. und 18. Dezember. Kartentelefon: (01 80) 5 23 16 00.