Nürnberg
Schöner kann Theater kaum sein

Mit dem Stück "Wiedervereinigung der beiden Koreas" verabschiedet sich Klaus Kusenberg als Nürnberger Schauspielchef

31.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:52 Uhr

Grandiose Ensemble-Leistung: Adeline Schebesch, Nicola Lembach, Mareile Blendl, Josephine Köhler und Bettina Langehein (von links) in Joël Pommerats Stück "Wiedervereinigung der beiden Koreas". - Foto: Bührle

Nürnberg (DK) Tränen und Trabis: Bei Wiedervereinigung denken wir an Mauerfall, Sektkorken und die treffende Formulierung von Alt-Kanzler Willy Brandt, dass nun endlich zusammenwächst, was zusammengehört. Den beiden Staaten auf der koreanischen Halbinsel ist dieses Glück bis heute nicht vergönnt. Der französische Theatermacher Joël Pommerat hat diese schreiende Ungerechtigkeit der Geschichte zum Titel seines Episodenstücks über die Unmöglichkeit der Liebe gemacht.

Klaus Kusenberg, der nach knapp 18 Jahren als Nürnberger Theaterchef das Haus zum Ende der Spielzeit in Richtung Regensburg verlässt, bringt diesen fragmentarischen Reigen über die Schwierigkeiten der Liebe in postmodernen Zeiten als furioses Spektakel auf die Bühne. Dabei setzt der Regisseur nicht auf Knalleffekte. Kusenberg lässt seine Truppe stattdessen brillieren. Befreit von engen Vorgaben und abstrakten Regieeinfällen toben, schreien, weinen, lachen, lieben und küssen sich die Schauspieler durch den famosen Theaterabend.

Kusenberg hat nach eigenen Bekundungen im Vorfeld allen Ensemblemitgliedern "noch einmal eine Plattform" bieten wollen. In gut zweieinhalb Stunden und 20 Szenen zeigt die glänzend aufgelegte Truppe, dass sie allein das Theater zu einem Erlebnis machen kann. Mit seiner Episodenstruktur ohne Haupt- und Nebenrollen sei das Stück über die Wiedervereinigung der beiden Koreas dafür geradezu prädestiniert gewesen. Inhaltlich gereizt habe ihn, dass das Stück mit seiner "Bestandsaufnahme zur Liebe in gegenwärtigen Verhältnissen hoch relevant" sei.

Recht hat Kusenberg genauso wenn er sagt, dass uns wohl kein Klassiker so direkt weil aktuell wie ein Drohnenflug über die großstädtischen Schlafzimmer ins Liebesmark treffen könne.

Auf der Drehbühne dominiert ein Monolith, der wie ein magischer Fremdkörper die wachsende Entfremdung der Liebenden symbolisieren soll. In der ersten Szene des unterhaltsamen Abends sehen wir Mareile Blendl und Adeline Schebsch (beide blühen voller Spielfreude, einfach hervorragend) beim Eheberater. Für das lesbische Pärchen scheint der Ofen aus zu sein. "Es gibt keine Liebe zwischen uns. Es hat sie nie gegeben." Amüsiert verlassen die beiden trotzdem die Sitzung beim Liebestherapeuten.

Nach einer kurzen Drehung auf der Bühne sehen wir nahtlos auf die nächste Szene. Das geräuschlose Ineinandergreifen der einzelnen Episoden funktioniert dank Kusenbergs geschickter Regie wie ein gut geschnittener Kinostreifen. Wie eine Nummernrevue reiht sich eine Liebeskatastrophe an die andere. Beim Großreinemachen geht es um die makabre Spielart einer endgültigen Trennung. Der just geschasste Ex einer Reinigungskraft baumelt leblos von der Decke, während sich die holde Putzfee mit Wischmob am Boden das geplante Liebes-Comeback mit Wiederheirat und Flitterwochen ausmalt. Leider hat der Herr an der Decke die Trennung als komplette Selbstaufgabe und nicht als einfache Denksportaufgabe (der Mann soll endlich Besserung geloben) missverstanden.

Ebenfalls nach dem Motto "Dumm Gelaufen" scheitert in der nächsten Einstellung auf die Liebe eine geplante Hochzeit zwischen Christian (eine Rolle wie für Marco Steeger auf den Leib geschnitten) und seiner Braut. Dieser entpuppt sich kurz vor dem Gang zum Traualtar als Schürzenjäger, der mit Vorliebe im Reich der Brautschwestern nach Zärtlichkeiten gewildert hat. Mit der ältesten Schwester soll es sogar zum Äußersten gekommen sein. Auf Sex auf der Bühne verzichtet der Regisseur übrigens dankenswerterweise. Nackte Tatsachen sollen dem Spiel offensichtlich nicht die Show stehlen. Bravo!

Überhaupt kann man der letzten Regiearbeit von Klaus Kusenberg nur zu ihrer vornehmen Zurückhaltung gratulieren. Gerade in diesem Vertrauen auf die klassischen Künste seiner Truppe treibt er diese auf immer neue Höhepunkte zu. Diesem Theater dürften auch solche Zuschauer gerne zusehen, die gedacht haben, sie könnten die Bühnenkunst schon auf das Abstellgleis der Geschichte schieben. Wer heute glaubt, mit der Fernbedienung mehr als mit dem Theater anfangen zu können, sollte sich schleunigst nach Nürnberg aufmachen und dieses Stück ansehen.

Auch wenn die beiden Koreas sich am Ende nicht wiedervereinigen, können wir uns an dieser schwarzhumorigen Bestandsaufnahme der Liebe ergötzen. Sogar Singles werden diesen Abend ohne Weinkrämpfe genießen können. Selbst wenn sie das zeitgenössische Stück eher als Bestätigung der aktuell ziemlich prekären Verhältnisse in Geschlechterfragen verstehen dürften. Im amourösen Scheitern kann man eben auch Grazie walten lassen, wie Constantin (großartig Stefan Lorch), der nach zehn Jahren bei seiner Verflossenen ganz plötzlich ins Wohnzimmer platzt, um "Auf Wiederzusehen!" zu sagen. Die Schlüssel zur Haustür behält er vorsichtshalber. In der Liebe kann man sich eben nie sicher sein. Genau darin dürfte ein Großteil ihrer Magie liegen.

Die nächsten Aufführungen finden am 3., 15., 28. Februar statt. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.staatstheater-nuernberg.de" class="more"%>.