Neue Sichtweisen auf die Stadt

06.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:42 Uhr

Der Künstler und sein Werk: Rudolf Herz präsentiert "Tatlins Dog". Bis 5. September sind täglich neue Buchstabenkombinationen aus dem Begriff "Ingolstadt" auf der Brücke zu sehen. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Das "G" ist schwerer als das "I", aber selbst dieses Leichtgewicht bringt noch 20 Kilo auf die Waage. Weshalb ein "Hängeteam" von vier Männern nötig ist, um aus "Tatlins Dog" auf dem Donausteg täglich ein neues Anagramm zu bilden.

Heute ist die Crew erstmals am Wechsel-Werk an der Buchstabeninstallation des Künstlers Rudolf Herz. "31 Tage, 31 Anagramme": Am Dienstag wurde die Preisträgerarbeit des Wettbewerbs "Kunst im Fluss" im Rahmen der Kunsträume Bayern eröffnet, mit jenem "Tatlins Dog", das ihr ihren Namen gab und das tatsächlich die Lieblingskombination des 54-jährigen Münchner Künstlers ist.

Weil Tatlin, Vorname Wladimir, Kollege des großen Konstruktivisten Kasimir Malewitsch war und somit das allererste Anagramm damit gleich Verbindung aufnimmt zum Museum für Konkrete Kunst. Konstruiert? An den Haaren herbeigezogen? Originell und witzig, bezugreich ist das Wort auf jeden Fall.

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Aber Bezüge kennt die Arbeit des gebürtigen Allgäuers sowieso genug, ziemlich komplexe sogar. Da gibt es die Vereinigung der beiden Donauufer durch die Schrift, so dass der Fluss endlich wirklich durch die Stadtmitte fließt. Da gibt es den Donausteg als "Bühne", die die Buchstaben bespielen – und das berühmte Hämer-Theater liegt gleich nebenan. Und da gibt es nicht zuletzt die visuelle, Stadtarchitektur ins Bewusstsein rufende Verbindung zur großen Historie der Schanz. Ganz wunderbar etwa ist der Blick von der alten Donaubrücke auf "Tatlins Dog" mit Neuem Schloss, Wasserturm und Reduit Tilly als Ambiente – ein ebenso pittoreskes wie tiefsinniges Postkartenmotiv.

Überhaupt ist schön, wie Herz’ Arbeit, die sich im Vorlauf fast banal anhörte, tatsächlich funktioniert, wie sinnlich, ästhetisch, reizvoll und denk-bar sie wirkt. Auch über die einzelnen Worte hinaus, die Herz übrigens nicht per Computerprogramm fand. "Der Ma-schine fehlen Kreativität und Fantasie", sagt der Künstler, der stattdessen insgesamt 150 Anagramme mit ausgeschnittenen Buchstaben erscrabbelte.

Für ihn, der unter anderem mit seinem spektakulären Projekt "Lenin on Tour" (die Granitbüsten des demontierten Dresdner Lenin-Denkmals kutschierte Herz auf einem Sattelzug 800 Kilometer durch Europa) bekannt wurde, übrigens kein Neuland. Auch in der Vergangenheit arbeitete Herz mit Schrift, Wort und ihrer beider Transformation, stattete etwa zuletzt die Zentrale der Deutschen Luftsicherung in Frankfurt mit einer über hundert Meter langen Schriftskulptur aus einem anagrammatisch verklausulierten Ausspruch des holländischen Astronomen Huy-gens (1650) aus, und wünscht sich mittlerweile schon mal, dass für ihn "Schluss ist mit den Buchstaben". Vergeblich.

"Die Schrift verfolgt mich", seufzte Herz am Eröffnungstag. Und sie wird, was "Tatlins Dog" betrifft, ihm und den Ingolstädtern bleiben. Zum Ende der Installation am 5. September erscheint ein Buch mit den Anagrammen; niemand anderes als Fleißerpreisträgerin Kerstin Specht, ebenfalls bei der Vernissage dabei, ist für das Vorwort engagiert.