München
Vom Reden über das Schweigen

Vater der konkreten Poesie: Ein Künstlergespräch mit Eugen Gomringer anlässlich seines 90. Geburtstags

23.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:44 Uhr

Wo Bücher so gefährlich aktuell sind, dass man sie hinter Gitter sperrt: Eugen Gomringer im Lyrik-Kabinett in München - Foto: Busch-Frank

München (DK) Dem Andrang nicht ganz gewachsen war das kleine, sehr feine Lyrik-Kabinett in der Münchner Amalienstraße, als dort am Donnerstag „ein Abend mit Eugen Gomringer“ angesetzt war. Der Jubilar, dessen Privatsammlung in Ingolstadt den Grundstock für das Museum für Konkrete Kunst gelegt hat, begibt sich nämlich zur Feier seines 90. Geburtstages in bewundernswerter Vitalität auf Lesereise quer durch den deutschen Sprachraum und straft damit sein berühmtestes Werk Lügen: Dieser Mann kann eine Menge, aber nicht „schweigen“.

Das gleichnamige Poem – oder die „Konstellation“, wie Gomringer seine Werke bezeichnet sehen will – hat ihn vor inzwischen 62 Jahren berühmt gemacht. Jeder Grundschüler kennt dieses Buchstabenbild, bestehend aus 14 penibel angeordneten Wiederholungen desselben Verbs mit der klaffenden Lücke in der Mitte.

Michael Lentz, Professor für Literarisches Schreiben an der Universität Leipzig, vermag an diesem Abend äußerst erhellend über „schweigen“ dozieren. Für ihn handelt es sich um eine „Inkunabel der Poesie und eines der wichtigsten Gedichte des 20. Jahrhunderts“ – und außerdem um die Veranschaulichung eines Paradoxons: „Es gibt kein Schweigen – es gibt kein Nichts.“ So kurz seine Konstellationen selbst oft sind – so ausführlich kann Gomringer werden, wenn er über seine Arbeit spricht: „Ich bin ein Erklärer – also, bis ich zum Lesen komme …“, wird er später entschuldigend bemerken.

Der gebürtige Bolivianer, der als Sohn eines Schweizers dort studierte und nach seinen Jahren als Professor für Theorie der Ästhetik an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf letztlich seine Heimat in Rehau (Oberfranken) gefunden hat, hat sich als Vater der konkreten Poesie in die Literaturgeschichte eingeschrieben, der er ihren Namen gab. Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Annette Gilbert schlägt dagegen vor, lieber von der „Gomringer-Variante“ zu sprechen, denn der Gefeierte habe schließlich nie aufgehört, seine Konstellationen zu entwickeln und damit so etwas wie die Quadratur des Kreises auf sich genommen: „Denn streng genommen dürfte ja ein konkreter Poet gar keine Gedichte schreiben.“

Gomringer erlebte die Initialzündung zu seinem Werk in der Malerei, wo nach dem Zweiten Weltkrieg Maler wie Hans Arp oder Max Bill konstruktive oder eben konkrete Kunst schufen. Gomringer, der später Stationen in der Werbung und als Kunstberater der Porzellanfirma Rosenthal bekleidete, hatte zunächst neben vielen anderen Fächern auch Kunstgeschichte studiert, erlag dann aber dem Reiz der Worte und Buchstaben. Seine meditativ anmutenden Skizzen kritzelte er oft unterwegs, im Flugzeug oder in der Bahn, auf Papier und Servietten, bevor er sie zu Hause in die unverwechselbare, handgetippte Form brachte. „Die Schreibmaschine erbringt letztlich den entscheidenden Beweis“, so Gomringer. Denn es hat sich über die Jahrzehnte nicht viel geändert an seiner Herangehensweise – er bleibt den Tasten seiner „Gabriele 10“ treu und überlässt alles, was mit dem Computer zu tun hat, Frau und Kindern. „Aber mich interessieren Fragen, wie zum Beispiel das World Wide Web Analogien herausbildet“, versichert er. Die Poeterei ist ein Familienbetrieb bei den Gomringers und Frau Nortrud die wichtigste Mitarbeiterin ihres Mannes. Einer seiner sieben Söhne leitet das Institut für Konkrete Kunst und Poesie in Rehau und Tochter Nora-Eugenia leitet die Villa Concordia in Bamberg, hat sich aber auch einen Namen in der Poetry-Slam-Szene erarbeitet.

Das Geburtstagskind hat für diesen Abend auch neue Werke mitgebracht, die er in seinem schönen Sprachduktus, einem schwingenden Schwyzerdütsch mit schwebendem, fränkischem Einschlag, liest. Wenn Gomringer spricht, dann ist die Welt voller Jamben. So klar rhythmisiert sind seine Sätze, dass man versucht wäre, dazu kleine Bogenschwünge auf ein Papier zu malen. Er liest aus einer Neuverortung des Lukas-Evangeliums für eine Kirche in Kulmbach, präsentiert Auftragswerke in spanischer und englischer Sprache und einige seiner Sonette. „Sonette sind eine Alterserscheinung, wenn man so angefüllt ist mit Erinnerungen, dann bietet sich das leichter an“, findet er und muss im Anschluss viele der gelben Bändchen signieren. Leicht gemacht hat er es sich dennoch nicht. „Meine Gedichte haben einen langen Weg“, sagt er, „es kann Wochen dauern, bis man merkt, dass drei Worte zusammenpassen.“

Am 12. März um 19 Uhr findet ein Künstlergespräch mit Eugen Gomringer im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt statt.