München
Verstörende Gefühlswelten

Meisterblätter von Georg Baselitz in der Pinakothek der Moderne

06.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:51 Uhr

Georg Baselitz: Ohne Titel (Kopf), 1967. - Foto: Staat. Graphische Sammlung

München (DK) "Romantiker ' kaputt" steht auf dem grün eingefärbten Papier, das wie eine Schultafel aussieht. Es könnte ein Aufsatzthema sein, eines über die deutsche Geschichte nach 1933. Tatsächlich ist es ein Blatt aus dem Künstlerbuch "Malelade" von Georg Baselitz. Es entstand im Jahr der Wende 1989, der Titel ist ein Wortspiel aus "Marmelade" und französisch "malade" - "krank". Baselitz, der am 23. Januar seinen 80. Geburtstag feierte, hat sich intensiv mit historischen Wendepunkten auseinandergesetzt: "Mein Vater war ein Nazi" soll er gesagt haben - aus dieser Erkenntnis heraus schuf er die Serie "Helden". Eine Auswahl von Blättern präsentiert jetzt eine kleine, feine Ausstellung in der Pinakothek der Moderne.

Ein Kopf, angefüllt mit rotbraunen Schlieren und Linien, eine Zusammenballung von Gehirnmasse und Blutadern, entstand 1961 für "Helden". Das Aquarell stammt aus der Sammlung von Herzog Franz von Bayern und steht symptomatisch für jene Anti-Helden, die Baselitz überzeichnet und in ihrer Verletzlichkeit darstellt. Das Motiv "Maler" in Mischtechnik kommt daher wie ein Soldat mit Tornister, die Palette hält er als Waffe vor sich. Und der "Hundehalter", um dessen Beine sich das Tier windet, ist die Karikatur eines deutschen Schäferhund-Besitzers.

Baselitz will provozieren, er will entlarven und den Betrachter herausfordern. Das Auf-den-Kopf-stellen seiner Motive wurde zu einem Markenzeichen, aber wichtiger als die Frage, ob er nun Mensch oder Tier oder Gegenstand zeichnet und malt, ist die Art, wie er zeichnet und malt. Die These von Theodor W. Adorno: "Nach Au-schwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch", münzt Baselitz in die Frage um, ob man nach der NS-Zeit noch Bilder malen könne und wie man den Einschnitt der deutschen Wiedervereinigung auf Papier darstellen kann.

Wie anstrengend und mühsam dieses Unterfangen ist, das zeigen die von Michael Hering ausgewählten Werke auf Papier im Vitrinengang des Museums. Der Direktor der Staatlichen Graphischen Sammlung führt mit dieser Kabinett-Ausstellung vor Augen, dass Baselitz "den Kanon einer Ästhetik zerschlägt und eine andere Ästhetik aufstellt". Seine in den 1960er-Jahren angezettelte "Abrechnung mit den Vätern" wird 1989 dann zur kritischen Analyse der Gegenwart. Verstörende Gefühlswelten scheinen in Bild und Text auf, und dass der Künstler diesen Anspruch auch im Alter von 80 Jahren nicht aufgibt, ist allein schon eine Leistung.

Bis zum 18. Februar in der Pinakothek der Moderne, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.