München
Utopie vom besseren Amerika

Bibiana Beglau gibt mit "Howl" einen hinreißenden Soloabend im Münchner Marstall

12.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:57 Uhr

Umjubelt: Bibiana Beglau in "Howl" in München. - Foto: Fersterer

München (DK) Zwei Kassettenrekorder aus den spießigen Fifties ruhen auf einem ebenfalls in die Jahre gekommenen, abgewetzten Schreibtisch. Dazu ein Cowboyhut, Zigaretten sowieso und eine prall gefüllte Pulle (freilich nicht mit Whiskey, sondern nur mit Wasser). Mit dem amerikanischen Sternenbanner wird das Vorlesemöbel schnell noch ironisch verziert und los geht's: "Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, hungrig, hysterisch, nackt."

Gestenreich und mit kehlig-rauer Stimme hebt Bibiana Beglau im schwarzen Blazer und mit der Ausstrahlung einer durch und durch authentischen Existenzialistin der amerikanischen Beatnik-Generation an: Texte von Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs trägt sie nicht nur vor, sondern sie gestaltet sie wundervoll mit Temperament und Hingabe: hauchend und flüsternd, fiebernd und brüllend. Zornige und auch melancholische Manifeste allesamt von Freiheit und Unabhängigkeit, von weiblicher Selbstbestimmung und männlicher Hybris. Huldigungen an Sex, Drugs und Rhythm 'n' Blues sowie Anklagen gegen Intoleranz und Rassenwahn unter dem Motto von Allen Ginsbergs Gedicht "Howl" vom Jahre 1955. In der Tat ein ebenso anklagendes wie hippes Geheul der amerikanischen Schriftsteller als "Wild boys" in den Zeiten des Kalten Krieges und des puritanisch-engstirnigen Lebensgefühls der US-Gesellschaft während der Eisenhower-Ära.

Wenn Bibiana Beglau, der Star des Residenztheaters, in ihren kurzen Lesepausen mit flackernden Augen fragend ins Publikum blickt und dabei dicken Zigarettenqualm durch die Luft bläst, während der Sound von schäumender Meeresgischt, einstürzenden Brücken und der Mischung aus mystischer Gregorianik und Bebob (von Flo Kreier) vom Tonband rauscht, da fühlt man sich als Zuschauer und Zuhörer in einen Poetry- und Musikschuppen in Harlem mit all der Aufbruchsstimmung der amerikanischen Jugend der 1950er-Jahre versetzt. Und dazu flimmern über einen alten TV-Kasten nostalgische Schwarz-Weiß-Bilder von der Brooklyn- und Golden Gate Bridge, dem Grand Canyon und der Freiheitsstatue als Symbole der Utopie eines besseren Amerika, während die von ihren Fans liebevoll "Bibi" genannte Bibiana Beglau mit ihrer Hand durchs Wuschelhaar fährt, mit ihren Zigaretten die Tonbandkassetten vor- und zurückspult und sich schließlich als Schamane schminkt.

Als die in zerstörerischem Selbsthass und tödlicher Liebesraserei exzentrische kretische Königsgattin Phädra in der aktualisierten Bearbeitung der Euripides-Tragödie durch Albert Ostermaier und Martin Kusej hat sie vor Kurzem ihre großartige, so ungemein facettenreiche und herrlich glühende Spielleidenschaft unter Beweis gestellt. Und diese Performance ist als Phädra-Fortsetzung ein Ereignis voll Emphase und Frauenpower. Das mit Beglau-Fans prominent durchsetzte Premierenpublikum jubelte.

Die nächsten Termine für den Soloabend sind am 19. und 27. Juli im Marstall des Münchner Residenztheaters. Kartenbestellung unter Telefon (0 89) 21 85 19 40 oder unter tickets@residenztheater.de. Weitere Informationen unter www.residenztheater.de" class="more"%>.