München
Lyrik mit dem Spielmacher

Bayern-Coach Guardiola las im Münchner Literaturhaus Gedichte des Katalanen Miquel Martí i Pol

01.07.2015 | Stand 02.12.2020, 21:07 Uhr

Der FC Bayern steckt mitten in den Vorbereitungen für die neue Saison. Trotzdem nahm sich Trainer Pep Guardiola Zeit für seine zweite Leidenschaft: Literatur. Im Münchner Literaturhaus rezitierte er Gedichte seines katalanischen Landsmanns Miquel Martí i Pol. - Foto: Stache/AFP

München (DK) Pep Guardiola räuspert sich, wirkt verlegen, leicht aufgeregt. Er nestelt an seinem Headset-Mikrofon, beugt sich nach vorne und liest in seiner katalanischen Muttersprache konzentriert von seinen weißen DIN A4-Blättern ab. 300 Zuhörer lauschen dem Bayern-Trainer am Dienstagabend im Literaturhaus bei der Lesung unter dem Titel „Der Poet und der Spielmacher“ zu Ehren seines Freundes und Landsmanns Miquel Martí i Pol (1929–2003).

Pep, der Spielmacher, ist ganz bei sich, konzentriert. Er versucht, die Gedichte akzentuiert wie ein Schauspieler vorzutragen, unterstützt die Lyrik mit seiner Mimik. Auch wenn es heiß wird, erotisch. „Die Lust ist ein weiter Horizont“ rezitiert der 44-Jährige aus dem Buch „Estimada Marta“ („Geliebte Marta“). Oder: „Es bleibt kein Raum zwischen deinem Körper und meinem.“ Der deutschen Übersetzung von Schauspieler Thomas Loibl lauscht Guardiola mit offenem Mund, nickt ihm zu und applaudiert begeistert. Er selbst wird von Mal zu Mal besser, weil sicherer, ruhiger, langsamer. Nicht Vorturner, sondern Vorleser.

Noch nie trat ein Bundesliga-Trainer im Literaturhaus auf. Manch anderer Bayern-Coach ließ sich einst als Napoleon ablichten, ein anderer glaubte, er sei Rubens, der nächste wirkte wie ein Reformator mit Buddha-Zubehör, einer aus der jüngeren Vergangenheit scheute nicht den Gottesvergleich. Cramer, Rehhagel, Klinsmann und van Gaal – die Riege der Selbstdarsteller.

Dann kam Guardiola, der Lyrik-Pep. Gedichte vortragen und mit der Gefahr leben, peinlich zu werden – die Courage muss man haben. 75 Minuten lang ehrt er Miquel Martí i Pol. „Es war ein Privileg, ihn zu kennen. Jedes Mal, wenn ich bei ihm war, kam ich als besserer Mensch raus. Seine Lyrik kann einen auf dem Boden halten, sie hat die Fähigkeit, mit wenigen Worten alles zu sagen.“ Auch vor einem Spiel? Als Motivationslektüre? Es geht die Mär, Guardiola habe das einst in Barcelona gemacht. „Nein, das war nicht nötig. Diese Gedichte sollte man zu Hause lesen, Lyrik ist etwas sehr Privates.“ Bücher hat er jedoch schon mal seinen Spielern geschenkt, den Bayern-Profi empfahl er den Roman „Blitz“ von David Trueba. Der spielt zwar in München, ist aber noch nicht auf Deutsch erschienen.

Und umgekehrt? Erfährt Pep von seinen Spielern Inspiration? „Ich hoffe, dass sie mir noch einige gute deutsche Bücher empfehlen werden.“ Dem „Llibre de les solituds“, dem „Buch der Einsamkeiten“, stellte der 2003 verstorbene Miquel Martí i Pol (zu Lebzeiten ein glühender Barca-Fan) die Widmung voran: „Für Cristina Serra und Pep Guardiola“. Worauf der Bayern-Trainer bescheiden bemerkt: „Das war wirklich eine Überraschung für meine Frau und mich, er hatte manchmal so seltsame Ideen.“ Witzig ist Pep auch: „Die Freundschaft war vor allem für mich inspirierend“, sagt Guardiola und lacht. „Ich konnte anfangen, seine Bücher zu lesen, aber er konnte nicht anfangen, Fußball zu spielen.“

Ungewohnt still sitzt der sonst an der Linie Tobende auf seinem Stuhl, demütig. „Ich bin nicht hierhergekommen, um Kulturbotschafter Kataloniens zu sein, aber ich freue mich, wenn ich das Interesse steigern kann. Die katalanische Literatur ist eine sehr reiche, es gibt auch großartige Romane.“

Hat der eine katalanische Volksheld Lieblingszeilen des anderen katalanischen Volkshelden? Ja, etwa diese: „Ich ließ die Dinge halb fertig liegen. Das gehört sich nicht!“ Sein Lieblingsgedicht? Er verzieht das Gesicht, als habe er Schmerzen. Etwa so, als habe er nur noch einen Platz im Team frei, für Lahm oder Thiago.

Journalist und Katalonien-Kenner Michael Ebmeyer, der Moderator und Übersetzer der Lesung, fordert die Zuhörer am Ende auf: „Kaufen Sie die Bücher! Lernen Sie Katalanisch! Um Land und Leute zu verstehen. Und vielleicht auch ein bisschen besser Pep Guardiola.“ Zwei Jahre ist er nun schon in München. Nie war er so privat, so fußballfrei wie an diesem Abend. Der FC Bayern? Weit weg, nicht mal zwischen den Zeilen.