München
Leben nach dem Untergang

"Handbuch für den Neustart der Welt" im Volkstheater München als hinreißende Show uraufgeführt

29.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:29 Uhr

Wie weiter nach der Apokalypse? Leon Pfannenmüller und Lenja Schultze in der Münchner Inszenierung von „Handbuch für den Neustart der Welt“ nach Lewis Dartnell. - Foto: Declair/Volkstheater München

München (DK) Die Welt existiert nicht mehr. Eine Pandemie hat alle und alles hinweggerafft. Nein, nicht alle. Auf 700 000 Tote kommt jeweils ein vom Weltuntergang Verschonter: die sechs Schauspielerrinnen und Schauspieler auf der Bühne des Münchner Volkstheaters – und das Publikum. Für diese ist das natürlich ein großer Glücksfall. Denn die Regale in den Supermärkten sind ja noch prall gefüllt und kostenlos zu plündern, die Tankstellen sind mit Benzin bestens versorgt und – wie tröstlich – die Wohnungsmieten sind gleich null, da die Häuser ja leer stehen und die Hausbesitzer samt Immobilienmaklern allesamt umgekommen sind: das Paradies nach der Apokalypse

Der britische Astrobiologe Lewis Dartnell hat in seinem Science-Fiction-Thriller „Das Handbuch für den Neustart der Welt“ dieses schräge Horrorszenario ausgebreitet. Das Buch verkauft sich bestens, und die Theaterfassung wird auch bald zum Publikumsrenner in München avancieren. Denn Regisseurin Jessica Glause, die beim diesjährigen „Radikal jung“-Festival mit ihrer Inszenierung von „Und jetzt die Welt“ den Publikumspreis bereits in Empfang nehmen durfte, hat diese Horrorvision von Untergang und Neustart unseres Planeten in eine köstliche Bühnenfassung umgetopft und mit einem brillanten Ensemble zur ungemein witzig-amüsanten Uraufführung gebracht.

In vogelwilden Kostümen (von Bettina Werner) gewandet und mit allerlei technischem Schnickschnack serviert, vor allem jedoch mit einer schier ungebremsten Spiellaune rasen, toben und wirbeln die sechs Überlebenden hier über die Bühne, um uns, den vom Weltuntergang Verschonten, in rasant abschnurrenden Szenen zu erklären, wie die Zukunft und das Weiterleben nun zu organisieren sind. Denn die Urwälder werden sich ebenso rasch ausbreiten wie die wilden Tiere, die Ratten und die Kakerlaken, die Städte bald erobern werden. Die Nahrungsmittel gehen bald zu Ende, die Häuser verfallen, der Meeresspiegel steigt und (das Buch ist vor allem in den USA ein Bestseller) die Benzinvorräte sind schnell aufgebraucht. Das Ende naht auch für uns, da wir als die wenigen von der Apokalypse Verschonten es in unserer bisherigen spezialisierten Welt völlig verlernt haben, die zum Leben notwendigsten Dinge selbst herzustellen.

Folglich muss die Zivilisation neu gestartet werden. Sauberes Wasser als Grundlage allen Seins ist Voraussetzung. Die Bedeutung und Handhabung von Pflug und Beil müssen wieder erlernt werden. Dazu trichtern uns die Aufbauhelfer auf der Bühne die Bedeutung des Rades, von Ackerbau und Viehzucht und später auch die Herstellung von Holzkohle, Glas, Eisen, Stahl und Zement ein, während im Bühnenhintergrund die Maschinen klappern und rattern, der Urwald mit allen nur denkbaren exotischen Pflanzen wuchert und die Theater-Pyrotechniker Sonderschichten einlegen.

Wie in einem zum Leben erwachten Experimentierkasten führen die Schauspieler all die notwendigen Innovationen, Erfindungen und Kulturtechniken der letzten 5000 Jahre in herrlich skurrilen Szenen vor, die wir, die wenigen auf der Welt Herumirrenden der Gattung „homo sapiens“, einüben müssen. Selbst vor der Erklärung von so aberwitzig erscheinenden Errungenschaften wie der Herstellung von Glyzerin und Ammoniaksäure schreckt das mit Spiellaune vollgepumpte Weltrettungsteam (Luise Kinner, Jonathan Müller, Leon Pfannenmüller, Lenja Schulze, Mehmet Sözer und Mara Widmann) nicht zurück. Wie eine aberwitzige Mischung aus Jahrmarktfuzzis und als Technikfreaks getarnte Scharlatane fetzen sie über die Bühne. Ein mit Livemusik (von und mit Joe Masi und Tom Wu) und Rap-Einlagen hinreißend abrauschender Mummenschanz.

Das von dieser faszinierend witzigen Survival-Show restlos hingerissene Premierenpublikum jubelte allen Protagonisten dieser mit Gags geradezu übersprühenden Uraufführung zu.

Weitere Aufführungen am 12., 13. und 21. Dezember. Karten gibt es unter Telefon (089) 5 23 46 55.