München
Klaustrophobische Hölle

Euripides' Tragödie "Medea" als ergreifendes Kammerspiel im Münchner Volkstheater

29.11.2016 | Stand 02.12.2020, 18:59 Uhr

Grenzenlose Rache: Medea (Julia Richter) tötet ihre Kinder, weil Jason sie verlassen hat. - Foto: Declair

München (DK) Ein schwach beleuchteter Kubus mit verschlossener Eisentür, grindigen Wänden und mit vier scheußlich-olivgrünen Hartschalensitzen schiebt sich schräg über die Bühne des Volkstheaters. Auf der Rückseite eine halbtransparente Spiegelwand, in der das Geschehen reflektiert wird: eine Gefängniszelle oder ein Warteraum fürs Jenseits? Auf jeden Fall ein großartiger symbolisch aufgeladener Einfall des Bühnenbildners Vincent Mesnaritsch ist diese klaustrophobische Hölle - Gedankenraum, in dem Medea ihre Taten in Rückblenden nochmals peinigend erlebt.

Auf eineinhalb Stunden hat der in Garmisch-Partenkirchen geborene Regisseur Abdullah Kenan Karaca dieses monumentale Drama des griechischen Autors Euripides (ca. 485-406 v. Chr.) klug gekürzt und als ergreifendes Kammerspiel für sechs Personen bearbeitet. Ein antikes Theaterstück voller Tragik vor dem Hintergrund der Argonauten-Sage: Mit ihrem Geliebten Jason und den gemeinsamen Kindern flieht Medea auf der Jagd nach dem Goldenen Vlies aus ihrer Heimat Kolchis nach Korinth. Hier wird sie freilich als Barbarin verachtet, weshalb Jason sie aus egoistischen Motiven verlässt und die Tochter Kreons, des Königs von Korinth, heiratet. Medeas Rache daraufhin ist grenzenlos: Nicht nur Jasons Braut lässt sie ermorden, sondern auch ihre eigenen Kinder bringt sie um. Eine Tragödie voll attischer Wucht, die Karaca in dieser Neuinszenierung im Münchner Volkstheater in Dutzende von Miniszenen unterteilt hat, in denen die Protagonisten all die Intrigen, seelischen Verletzungen und mörderischen Ereignisse jeweils aus ihrer Sicht in aufwühlenden Monologen und Dialogen ausbreiten.

Mögen Luise Kinner (Gora), Moritz Kienemann (Jason), Oliver Möller (Kreon) und Leon Pfannenmüller (Ägeus, König von Athen) als Stichwortgeber für all die ungeheuerlichen Ereignisse ihr schauspielerisches Talent in unterschiedlichem Maß hier einbringen, so ist Julia Richter in der Titelrolle zweifellos die Sensation dieser Inszenierung. Vom Schauspielhaus Graz hat Volkstheaterintendant Christian Stückl die 26-Jährige für diese Rolle abgeworben, die damit ihren Durchbruch zur jugendlichen Tragödin hinreißend unter Beweis stellte. Mit welcher Überzeugungskraft diese verheißungsvolle Nachwuchsschauspielerin diese traumatisierte Rachefurie abgibt, wie sie voller Verzweiflung über den Boden kriecht und mit bloßen Händen die Farbe von den Wänden kratzt, wie sie wie ein trotziges Kind auf Rache sinnt und ihre Enttäuschung über Jason sowohl im Innersten bebend verarbeitet als auch vehement hinausbrüllt - ohne freilich in ein dramatisches Overkill zu geraten -, das ist ganz große Schauspielkunst, wie sie die derzeit mit Recht gebeutelten Münchner Kammerspiele unter Matthias Lilienthals Intendanz leider nicht mehr bieten. Eine Aufführung jedenfalls, die dank Julia Richter emotional gewaltig berührt.

Die nächsten Vorstellungen sind am 1., 6. und 16. Dezember. Kartentelefon (0 89) 5 23 46 55.