München
Idole einer Hochkultur

Die Ausstellung "Kykladen – Frühe Kunst in der Ägäis" in der Archäologischen Staatssammlung München

29.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:08 Uhr

Musikantengruppe der Kykladenkultur: Zusammenstellung von zwei Harfenspielern von der Insel Santorin (Thera) und einem Musiker mit Syrinx (Panflöte). Marmor, 2700 bis 2400 v. Chr - Foto: Goldschmidt

München (DK) Eines vorweg: Wofür die faszinierenden kleinen Marmoridole der Kykladen gut waren, weiß man auch nach dem Besuch der beeindruckenden Ausstellung „Kykladen – Frühe Kunst in der Ägäis“ in der Archäologischen Staatssammlung in München nicht. Aber man erfährt die neuesten Forschungsergebnisse und wird in die Schau, die sich mit zahlreichen Fragen – und möglichen Antworten – an den Besucher richtet, mit einbezogen.

Sehr überzeugend: Die stark abstrahierten, geheimnisvollen Idole, die ja zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer wichtigen Inspirationsquelle für die Kunst der frühen Avantgarde um Picasso, Brancusi und auch Henry Moore wurden, werden im Zusammenhang mit der mediterranen Lebenswelt zur Zeit ihrer Entstehung vor etwa 5000 Jahren in der sogenannten „Kykladenkultur“ präsentiert.

Als man die Miniaturen aus Marmor, die zu 80 Prozent weibliche Figuren darstellen, um 1840 entdeckte, interessierte sich – im Gegensatz zu allem Orientalischen – kaum einer für sie. Sogar als „kleine Scheusale aus Marmorsplittern“ wurden die meist als Grabbeigaben gefundenen Objekte verunglimpft. Die reduzierten, stark geometrischen Formen entsprachen einfach nicht dem Zeitgeschmack. Hätte man damals schon gewusst, dass die Figürchen auch noch quietschbunt angemalt und mit mysteriösen Zeichen versehen waren, wären sie womöglich noch mehr in Verruf gekommen.

Heute hilft uns dies jedoch bei der Erklärung. Der Farbauftrag – und zwar der Augen – erweckte die Figur sozusagen zum Leben und wurde bei Bedarf erneuert. Bekam der Besitzer einen neuen gesellschaftlichen Status – wie etwa „verheiratet“ – wurde die Figur im Gesicht mit einem Punkt versehen – abgestempelt sozusagen wie in einem Personalausweis. Auch die Attribute des neuen Status – Diademe, Halsketten, Armschmuck – wurden präzise auf den Marmor aufgetragen. Im Gegensatz dazu konnten auch fahrig ungenaue Zickzacklinien, parallele Streifen und Augen (Punkte) auf unterschiedlichen Körperstellen gefunden werden. Wahrscheinlich benutzte man die Figuren bei Ritualen anlässlich bestimmter Ereignisse wie Geburt, Tod, Krankheit oder Wiederkehr nach langer Fahrt sowie Naturerscheinungen.

Die Bemalungen selbst sind nur in mikroskopischen Spuren erhalten – allerdings konnte aufgrund der Menge der Idole die Systematik und sogar die Art der Pigmente bestimmt werden. Beides präsentiert die Schau in einer ausgesprochen bunten Abteilung, in der man auch erfährt, wie die Farben hergestellt wurden.

Einer weiteren interessanten Frage wird nachgegangen: Was machte diese griechischen Inselchen – die rund um das „heilige“ Eiland Delos kreisförmig (im Zyklus, deshalb Kykladen) angeordnet sind – so beliebt? Und warum begann gerade hier eine neue Epoche, die Bronzezeit? Verantwortlich dürften wie so oft in der Weltgeschichte die technischen Innovationen sein. Besiedelt wurden die Kykladen, die zwar regenarm aber mild und mit einem fruchtbaren vulkanischen Boden gesegnet waren, schon in der Steinzeit – wahrscheinlich wegen ihrer reichhaltigen Bodenschätze.

Auf Siphnos gab es etwa Silberblei, auf Paros und Naxos außergewöhnlich qualitätvollen Marmor. Auf Melos konnte Obsidian gesammelt werden, der zu scharfen Schneidewerkzeugen gebrochen wurde. Dieses Produkt vulkanischen Ursprungs gilt als Hightech-Werkstoff der Steinzeit, der auch in weiten Teilen Kleinasiens gefunden wurde.

Die Insulaner, die mit den von ihnen entwickelten meerestauglichen Langbooten nicht nur von Insel zu Insel, sondern auch nach Kleinasien und Kreta fuhren, hatten ihn dorthin exportiert. Mitgebracht hatten sie die neue Technik des Bronzegießens, mit deren Hilfe sie ihre reichhaltigen metallischen Bodenschätze in Waffen und Werkzeuge ummünzen konnten – und eine Hochkultur begründen.

Bis 7. Juli, Di bis So 9.30 bis17 Uhr.