München (DK
"Ich bin ein Münchner Kindl"

Charlotte Knobloch wird 85 Jahre alt Der Wahlerfolg der AfD hat sie schockiert

27.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:17 Uhr

München (DK) Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg - für viele ist das Geschichte. Tatsächlich gibt es immer weniger Menschen, die diese Zeit des Terrors und der Nazi-Diktatur am eigenen Leib erfahren haben. Charlotte Knobloch ist eine von ihnen. 1932 in eine jüdische Familie hineingeboren, prägten die Jahre des Schreckens und der Angst ihre Kindheit. Bis heute hält die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern die Erinnerung wach, damit so etwas nie wieder geschieht. Denn das einstige "Land der Mörder" ist für sie wieder zur geliebten Heimat geworden. "Ich bin ein Münchner Kindl - durch Geburt, daran kann ich nichts ändern", sagte sie vor ein paar Jahren. An diesem Sonntag feiert die überzeugte Münchnerin und Demokratin nun ihren 85. Geburtstag.

Dass Knobloch in München wieder ihren Platz finden würde, war vor mehr als 70 Jahren nicht sehr wahrscheinlich. Dabei hatte alles gut begonnen. 1932 wurde sie als Charlotte Neuland in München geboren, in eine großbürgerliche, religiöse Familie. Ihr Vater war Rechtsanwalt in München, ihr Großvater besaß ein renommiertes Bekleidungsgeschäft in Bayreuth. Doch die geborgene Kindheit währte nicht lange. "Von den Kindern, denen gesagt wurde, sie dürften nicht mehr mit mir spielen, bin ich als Erstes diskriminiert worden", erinnert sie sich. "Da spürte ich zum ersten Mal, dass ich irgendwie anders bin." Als das Mädchen vier war, verließ ihre Mutter, eine konvertierte Jüdin, unter dem Druck der Nazis die Familie. Ein Schock, den die Großmutter väterlicherseits aber auffing, eine gläubige, elegante und liebevolle Frau, die zur wichtigsten Person im Leben ihrer Enkelin wurde.

Unbeschwerte Kindheitstage waren es trotzdem nicht. Am 9. November 1938 erlebt die nunmehr Sechsjährige die Pogrome hautnah mit. "In dieser Zeit kann ich nicht von positiven Erinnerungen sprechen", sagt Knobloch. Eindrücklich waren für sie auch die verzweifelten Menschen, die ihren Vater besuchten, weil sie seinen Rat wollten. "Ich musste zuhören und sehen, wie die Menschen verängstigt waren und geweint haben. Ich habe nur solche Erinnerungen. Was sollte ich positiv aus dieser Vergangenheit berichten"

1942 ein Einschnitt: Um seine Tochter vor der Deportation zu retten, brachte ihr Vater sie ins mittelfränkische Arberg. Dort wohnte Kreszentia Hummel, die die Familie von früher kannte. Sie gab das Mädchen als ihre uneheliche Tochter aus und rettete ihr so vermutlich das Leben. Nach dem Krieg zog Charlotte mit ihrem Vater nach München - ohne die Großmutter, die 1944 in Auschwitz ermordet worden war.

Anfangs wollten Knobloch und ihr Ehemann, den sie 1951 geheiratet hatte, auswandern. Doch dann kamen die Kinder und die Familie fing stattdessen an, den Juden wieder einen Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Ihr Vater wurde Präsident der Münchner Kultusgemeinde, ein Amt, in dem sie ihm 1985 nachfolgte. "Eine Frau als Vorsitzende, das hatte es davor noch nicht gegeben. Ich war die erste in Deutschland und heute kann man die Männer suchen, weil so viele Frauen Vorsitzende sind", erinnert sich Knobloch. Es folgten weitere Ämter, etwa als Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses und von 2006 bis 2010 Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Eine engagierte, auch umstrittene Präsidentin, die sich kämpferisch in Debatten einmischte.

Mittlerweile ist München ihre Heimat - erst recht, seit die Juden mit der Synagoge, dem Gemeindehaus und dem Jüdischen Museum wieder ihren festen Platz gefunden haben.

Dass die AfD bei der Bundestagswahl so viele Stimmen bekommen habe, hätte sie sich nie vorstellen können. "Für mich ist das ein wahrgewordener Albtraum", sagt Knobloch. "Ich hoffe auf die 85 Prozent, die nicht diese Partei gewählt haben."

Auch zum Thema Islam und Flüchtlinge hat Knobloch eine deutliche Meinung: "Der Islam gehört gar nicht zu Deutschland." Deutschland habe viele Menschen aufgenommen und damit hinreichend bewiesen, dass es ein offenes Land sei. "Nun muss man von den Menschen, die hierher gekommen sind, auch verlangen können, was auch in unserem Heiligen Buch steht: Du sollst nach dem Gesetz jener Stadt leben, in der Du lebst!", sagt sie. Es gehe dabei nicht um den religiösen Bereich - jeder solle seine Religion leben können. "Aber die Regeln des Umgangs, die Werte, die Gepflogenheiten und Gesetze jenes Ortes, an dem man lebt, die gilt es zu achten und einzuhalten."