München
"Chodorkowski ist eher eine Art Preuße"

Cyril Tuschi hat einen Dokumentarfilm über den inhaftierten russischen Milliardär gedreht

24.11.2011 | Stand 03.12.2020, 2:07 Uhr

München (DK) Ursprünglich wollte der deutsche Filmemacher Cyril Tuschi einen Spielfilm über das Thema drehen. Weil aber in dem Fall die Realität spannender ist als jede Fiktion, wie Tuschi findet, wurde eine Dokumentation daraus: „Der Fall Chodorkowski“ läuft seit dieser Woche in den Kinos.

Tuschi schildert dabei den Fall des russischen Milliardärs Michail Chodorkowski, der unter anderem als Inhaber des Ölkonzerns Jukos nach dem Ende des Kommunismus zu fabelhaftem Reichtum gelangte. Nach der Jahrtausendwende kam es zum Konflikt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. 2003 wurde Chodorkowski verhaftet und wegen Steuerhinterziehung und Betrugs verurteilt. Zur Zeit sitzt der 48-Jährige in einem Straflager in Karelien. Unser Redakteur Markus Schwarz hat mit Cyril Tuschi gesprochen.

Herr Tuschi, nach dem Film kommt mir Michail Chodorkowski vor wie ein russischer Onkel Dagobert. Jemand, der Geld verdient um des Geldverdienens Willen.

Cyril Tuschi: Dass er sich nur für Geld interessiert sehe ich nicht so. Michail Chodorkowski ist meiner Ansicht nach eher fixiert auf das Optimieren von Systemen. Er wollte die kaputte Firma Jukos optimieren. Geld war dabei eher Mittel zum Zweck, er war ja schon 1990 Millionär.

Aber Hobbys hat er offensichtlich keine? Ein Roman Abramowitsch gönnt sich zumindest mal einen Fußballverein oder eine Jacht, auf der man zur Not auch ein Fußballspiel austragen könnte.

Tuschi: Das stimmt, Abramowitsch ist einer, der seiner neuen Flamme zum ersten Date einen Warhol schenkt oder einen Dali. Chodorkowski ist dagegen eher ein Preuße, jemand der Aufgaben bewältigen will, etwas schaffen will; vielleicht ist auch ein bisschen ein Schwabe – schaffe, schaffe, Häusle baue.

Ist es das, was die Person Chodorkowski so interessant für Sie gemacht hat?

Tuschi: Nein, das ist eher, wie er sich geändert hat. Erst hat er den Kommunismus angebetet, dann das Kapital. Und um das Jahr 2000 hat er sich wieder stark gewandelt und sich neuem sozialen Gedankengut zugewandt. Er hat Journalistenschulen finanziert und die Verbreitung des Internet in Russland gefördert. Und interessant fand ich auch, dass er Fehler macht. Alle anderen wären abgehauen mit ihren Milliarden, er kommt aus dem Ausland zurück und lässt sich verhaften.

Nehmen Sie ihm diese Verwandlung zum demokratisch engagierten Unternehmer ab? Oder steckt da vielleicht eher Taktik dahinter?

Tuschi: Vielleicht ist Chodorkowski auch Taktiker. Im Film sagt ja auch einer, dass er glaubt, dass Chodorkowski einen Masterplan hat und alles geplant hat, auch die Verhaftung.

Und nach der Haft geht er doch in die Politik?

Tuschi: Davor hat Putin Angst gehabt. Davor hat Putin immer noch Angst.

Was glauben Sie? Hat sich Chodorkowski gewandelt und die Opposition unterstützt, weil er mehr Demokratie nach Russland bringen will, oder will er sich auf diesem Weg einfach mehr Macht verschaffen?

Tuschi: Wohl beides. Ich glaube, Menschen sind so strukturiert, dass sie das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Zum einen hat er die Opposition unterstützt, weil er einen Gegenpol zur Macht des Kremls aufbauen wollte; zum anderen nimmt er Einfluss auf die Leute, die er finanziert.

Der Kreml legt ihm die Unterstützung der Opposition als Undankbarkeit aus. Es gibt ja einige Aussagen in Ihrem Film, nach denen der Kreml genau gesteuert hat, an wen in den 90er Jahren die Staatsfirmen verkauft wurden.

Tuschi: Natürlich war das gesteuert. Das Problem war, dass es am Anfang so wenige Leute gab, die sich mit kapitalistischem Wirtschaften auskannten. Die paar, die gut darin waren, mit kapitalistischer Logik zu arbeiten, wurden ausgewählt und erhielten die Firmen.

Zu einem extrem günstigen Preis, was ein gutes Geschäft für die Ausgewählten war . . .

Tuschi: Chodorkowski rechtfertigt sich immer damit, dass er die marode Firma saniert hat. Er hat ja beim Kauf von Jukos auch drei Milliarden Schulden übernommen. Aber es war ein guter Deal für ihn, keine Frage. Aber es war auch ein guter Deal für den Staat. Wenn Russland die Firmen nicht relativ preisgünstig an die Oligarchen verkauft hätte, hätten sich die Deutschen und die Amerikaner die Firmen unter den Nagel gerissen. Und das will ja kein Land der Welt, dass die eigenen Schlüsselindustrien in ausländische Hände fallen.

Die Deutschen und die Amerikaner drängten ja damals darauf, dass die Industrien privatisiert werden?

Tuschi: Natürlich. Russland war stark verschuldet, die mussten Staatsbesitz verkaufen. Zumindest nach kapitalistischer Logik. Ob es da auch einen dritten Weg geben könnte zwischen Kapitalismus und Sozialismus, das war damals kein Thema. Diese Idee war ja auch nach dem Ende der DDR innerhalb von einer Woche vom Tisch. Der Westen hatte damals in Russland starke wirtschaftliche Interessen.

Die hat er immer noch.

Tuschi: Klar. Deswegen ist es dem Westen meistens auch egal, wenn Menschenrechte verletzt werden oder wenn ein Chodorkowski im Knast sitzt, solange der Rubel rollt. Das empfinde ich als skandalös – wie sich der Westen verhält. Sich praktisch gar nicht um die Einhaltung der Menschenrechte zu kümmern, das finde ich nicht in Ordnung.

Gibt es denn nach Ihren Erfahrungen in Russland viele Gruppierungen, die sich für ein freiheitlicheres, demokratischeres Land engagieren? Manchmal hört man ja von kleineren Demonstrationen.

Tuschi: Es gibt keine Opposition, es gibt keinen Protest. Was sein könnte, ist, dass sich wie in den nordafrikanischen Ländern eine Protestbewegung über das Internet formiert. Davon haben die Mächtigen in Russland ja auch ein bisschen Angst. Aber im Moment ist meiner Ansicht nach da nichts in Sicht. Es müsste schon eine größere Krise kommen, dass sich da vielleicht etwas ändert.

Dann scheint es ja in Russland gerade so leidlich zu laufen, oder? Wie sehen Sie die allgemeine Situation im Land?

Tuschi: Es gibt viele Superreiche und ganz, ganz viele Arme; aber langsam beginnt sich eine Mittelschicht zu etablieren. Wirtschaftlich herrscht nach wie vor eine Art Raubtier-Kapitalismus. Es wird viel auf den schnellen Profit geschaut und praktisch überhaupt nicht darauf, wie nachhaltig eine Investition ist. Es ist ja bezeichnend, dass seit 20 Jahren keine Straße und kein Krankenhaus mehr gebaut wurden.