München
Abgründe und Alpträume

Das Malerische der Gegenwartskunst in der Pinakothek der Moderne

16.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:38 Uhr

Ohne Titel und doch Sinnbild der Welt: Katharina Grosses mit knapp zwei Metern Durchschnitt riesiger Tondo, der sich, vergraben in verseuchter Erde, nun halb aufgelöst präsentiert. - Foto: Grosse/VG Bild-Kunst, Bonn

München (DK) Ein Bild kann trügerisch schön sein. So wie das Werk von Jenny Holzer mit dem Titel "Wish list red" (Wunschliste rot). Auf fünf Quadratmetern breitet sich Unschärfe aus, und warme, rötliche Farben leuchten neben dunklen Schatten. "Dieses Bild ist erst seit sechs Wochen bei uns", erzählt Bernhart Schwenk, Konservator für Gegenwartskunst an der Pinakothek der Moderne. Jetzt ist das geheimnisvolle Werk Teil der Ausstellung "Paint on - Dimensionen des Malerischen", in der Schwenk vor Augen führt, wie sich Malerei in der Gegenwart weiterentwickelt.

Das Malerische als ein signifikantes Kriterium der Kunst beschrieb vor rund hundert Jahren der Schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin. Im Gegensatz zur linearen Kunst dominiert beim Malerischen nicht die Linie, sondern die Farbe, die sich fleckenhaft ineinander schiebt oder verfließt. Diese Flecken decken sich nicht mit der plastischen Form eines Objektes, sondern "geben nur den optischen Schein der Sache" wieder, so Wölfflin. Ist nun eine Kunst, die so im Ungefähren bleibt, überhaupt in der Lage, unsere Gegenwart zu spiegeln und auf die Leinwand zu bannen?

Durchaus, antwortet das Bild von Jenny Holzer. Denn während das Auge noch die Farbflecken zusammenzufügen sucht und rätselt, ob hier die unscharfe Aufnahme eines Menschen versteckt ist, da entdeckt der Blick eine darüber liegende Schrift. Und Absatz für Absatz entfaltet sich ein auf Englisch verfasstes Geheimdokument über verschiedene Formen der Folter - von "weißem Rauschen" bis "Schlafentzug". Und schon gerät die Schönheit des Bildes ins Wanken, öffnet sich ein Abgrund an Assoziationen.

Ganz Ähnliches vermitteln andere Werke in dieser Studio-Ausstellung zum Malerischen. Katharina Grosse hatte einen Tondo, ein rundes Leinwand-Bild, zur Hälfte in Erde eingesenkt - und weil diese Erde mit Schädlingsbekämpfungsmitteln getränkt war, vernichtete sie auch Farben und Stoff. Jetzt ist das farbenfrohe Werk zur Hälfte angefressen, fragil und zum Teil aufgelöst. Welch ein Kommentar zu unserem blauen Planeten! Sinnverwandt ist das Video "M.U.D." von Nina Könnemann, das einen Park zeigt, der durch Besucher einer Veranstaltung zur Mülldeponie verwandelt wurde. Die Filmsequenzen im Morgennebel haben durchaus malerische Qualitäten, auch wenn das Sujet ein Alptraum ist.

Vierzehn Positionen aktueller Malerei zeigt die Ausstellung, und auch das künstlerische Moment des Zufalls spielt eine große Rolle. Der Drucker, der für Wade Guyton eine gefaltete Leinwand ausspuckt, hat nicht zu steuernde Eigenheiten, und die Farbe, die Monika Baer mit heißer Luft behandelt, reißt auf oder zieht sich zusammen und gibt den Blick auf eine verletzte Oberfläche frei. Farbe verläuft und tropft wie bei Simone Lanzenstiel, Farbe färbt als Film-Projektion das weiße Fell eines Kaninchens im Video von Yvonne Leinfelder. Denn Farben sind mehr als ölig angerührte Pigmente in einer Tube. Farbe kann täuschen, verführen, entlarven. Und Malerei, die älteste aller Künste, passt sich veränderten Zeiten so an, dass sie sich verwandelt, aber nicht vergeht. "Paint on" - Male weiter!

Bis zum 1. Mai in der Pinakothek der Moderne, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.