Nürnberg
Lebenslust und Kampfesmut

Nürnberger Company in Hochform: "Powerhouse" sind drei energiegeladene Choreografien

24.04.2018 | Stand 23.09.2023, 3:01 Uhr
Katharina Tank

Nürnberg (DK) Wenn ein Theater zum Kraftwerk wird, kommt die Kunst zu sich selbst.

Und die Zuschauer können was erleben. Genau das passiert beim neuen Ballettabend "Powerhouse" des Staatstheater Nürnberg Balletts, der jetzt im Opernhaus seine umjubelte Premiere erlebte. Der knapp zweistündige Abend zeigt die Nürnberger Company in Hochform: ein vielarmiger, vielbeiniger, vielköpfiger Generator, der - angetrieben vom kreativen Input dreier Choreografen und der rhythmisch-emotionalen Kraft der Klänge - technisch überragend und musikalisch exakt die Bühne unter Strom setzt und das Publikum elektrisiert.

Mit "Tuplets" (2012) von Alexander Ekman und "Disappearing Act" (2015) von Hofesh Shechter stellt Ballettchef Goyo Montero erneut Arbeiten zweier weltweit anerkannter Choreografen vor. Zusammen mit "Imponderable", das Montero selbst 2017 für das kubanische Ensemble Acosta Danza schuf, formen sie ein ästhetisch homogenes Triptychon, das um die Themen Energie und Rhythmus im Zusammenspiel von Individuum und Gruppe kreist.

"Imponderable" nimmt die Zuschauer mit nach Kuba, wo Montero unter anderem seine Tanzausbildung erhielt. Abseits farbenfroher Klischees von Sinnenfreude und Lebenslust wirft das Stück einen buchstäblich ziemlich düsteren Blick auf eine Gesellschaft, die ihren Halt verloren zu haben scheint: Nebel, kaltes Zwielicht, Suchscheinwerfer (Licht: Olaf Lundt), finster grollende oder trostlos hängende Klangwolken (Musik: Owen Belton) sind die Kulisse, in der sich Szenen der Vereinzelung, Gleichschaltung und Gewalt abspielen. Dazwischen scheinen Träume, Optimismus und kampfesmutig erhobene Fäuste auf, musikalisch gedoppelt durch Gitarrensongs des "kubanischen Dylan" Silvio Rodriguez. Nur gesprochen, werden seine Texte zudem Teil von Beltons Soundtrack der Hoffnungslosigkeit. Doch auch die durchweg effektvollen szenischen Ideen und schönen choreografischen Arrangements können nicht verhindern, dass sich die Atmosphäre schicksalsschwerer Dauerbedrohung gegen Ende spürbar abnutzt. Man fragt sich, wie Montero das (ingesamt etwas zu lange) Stück enden lassen wird, bis schließlich auch das letzte Herzflimmern der Taschenlampen verlöscht.

Satyrspielhaft heiter folgt "Tuplets", das einfallsreich und witzig den Rhythmus als unverzichtbare Grundlage jeden Tanzes thematisiert. Anfangs grooven die Tänzer einzeln vor sich hin, riesenhaft vergrößert erscheinen bewegte Hände und Münder in der filmischen Projektion. Dann dirigiert pointierte Vocal Percussion den Bewegungs-Schattentriss eines einzelnen Tänzers. Szenenapplaus. Dann streiflichtartige Tanzsequenzen inklusive Ballettparodie zu Industrial Sounds, rhythmischen Körpergeräuschen, synchronem Lachen. In einer Audition-Situation ist jeder Namensteil mit einer Bewegungschiffre gekoppelt, lustvoll lässt die Regie sie durcheinanderpurzeln. Wieder Szenenapplaus. Ein Interview zum Thema wird vertanzt, wenig prägnante Doku-Filmsequenzen in körniger Nachkriegs-Optik nehmen das Tempo raus, man achtet kaum noch auf die Tänzer. Und dann ist "Tuplets" auch schon zu Ende, hat sich einfach verplätschert. Man hätte sich ein furioses Final gewünscht.

Das liefert auf andere Weise "Disappearing Act". Wieder Nebel, wieder Zwielicht, dazu mysteriöses Streicherkratzen, dumpfe Schläge, Dauersummen, treibende Rhythmen, orientalisierende Klänge. Eine gesichtslose Gruppe gebeugter menschlicher Körper, die sich - verborgenen Gesetzen folgend - versammeln und wieder zerstreuen wie ein Schwarm Tiere. Die Körper erscheinen autonom, agieren in den Gruppensequenzen in beeindruckendem Gleichklang, rutschen auf den Knien, lassen Arme durch die Luft fließen, brechen in wilden Eruptionen aus der Gemeinschaft aus, straucheln, rutschen, fallen. Der ununterbrochen wogende Bewegungsfluss und die düster-hypnotische Musik entwickeln in ihrer Homogenität einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Ein starkes kollektives Ritual, dessen Inhalt und Ziel die Energie der Gemeinschaft selbst zu sein scheint. Und so erntet die Gemeinschaft der Nürnberger Tänzer am Ende dieses sehenswerten Ballettabends verdienten Jubel - angemessener Dank für diesen dreiteiligen Energieschub.

Weitere Vorstellungen: am 27. April, 10., 17. und 26. Mai und mehrere Juni-Termine. Karten unter www. staatstheater-nuernberg. de.
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Katharina Tank