Ingolstadt
Von hart bis zart

Ob Hip-Hop, Rock, Pop oder Electro – auch das zweite Taktraumfestival in Ingolstadt überzeugte mit anspruchsvoller Musik

21.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:53 Uhr
Christian Schulmeyr, Sänger der Ingolstädter Alternative-Rockband Pelzig, die einen überzeugenden Auftritt hinlegte. −Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Solche Klänge wie in den vergangenen drei Tage dürfte Kaiser Ludwig der Bayer noch nicht gehört haben. Stolz thront das Standbild dieses Wittelsbachers am Ingolstädter Paradeplatz, wo er von 1310 bis 1314 residierte. Sein martialisches Aussehen passt so gar nicht zu den gut gelaunten, entspannten und meist jungen Leuten und zur Musik, die teilweise zum Angesagtesten gehört.

Auch das Zirkuszelt im Innenhof des Schlosses steht im Kontrast zu dem wuchtigen gotischen Bau. Größer könnten die Gegensätze kaum sein – allein darin liegt schon der Reiz des 2. Taktraumfestivals.

„Es ist wirklich toll, dass so ein Fest genau an diesem Ort stattfinden kann“, sagt eine Besucherin, die am Samstag mit ihrem Mann gegen 3 Uhr gekommen ist. Bei gefühlten 35 Grad hält sich der Andrang in Grenzen. Doch Sea & Air sind längst keine Unbekannten mehr. Sie werden im Radioprogramm von Bayern 2 gespielt und waren auch schon im Programm des Einsfestivals zu sehen. Das Ehepaar Daniel Benjamin und Eleni Zafiriadou wechselt die Instrumente genauso wie die Musikstile: Pop, Independent, ein bisschen Jazz – und wenn’s drauf ankommt, auch mal drei Minuten reine Kakophonie. Das ist herrlich schräg, ironisch und sehr spontan.
 

Allein dieses Duo ist den Besuch des Taktraumfestivals schon wert – und dabei doch erst der Beginn des zweiten Tages mit 32 Solisten und Bands. 80er-Jahre-Rock wird man ebenso wenig hören wie die üblichen Headliner auf den großen Festivals oder den Mainstream aus Radio und Hitparade. „Ich weiß eigentlich gar nicht genau, wer hier spielt“, war ein Satz, der öfters zu hören war. Macht nichts. Der Rest ist mehr oder weniger Überraschungssache, und genau das ist das Faszinierende: Das Taktraumfestival hat kein Motto, sondern lebt von der Vielfalt und bietet eine Bandbreite und einen Anspruch, die man sonst nur selten findet.

Auffallend ist, dass viele Gruppen auch deutsch singen. Wie beispielsweise die Monostars, eine absolut hörenswerte Independentband aus München, die bereits fünf Alben herausgebracht hat und bisweilen die 80er Jahre anklingen lässt. Wesentlich jünger sind die Trümmer aus Hamburg, energiegeladene Hoffnungsträger der Hamburger Szene mit couragierten Texten. Noch ein paar strahlend schöne bayerische Sommer wie zurzeit, und die Jungs rocken die großen Festivalbühnen. Die Pentatones dagegen haben schon ihre Fans, die sich nicht satthören können an elektronischer Popmusik in den schillerndsten Varianten.

„Ich hätte nie gedacht, dass zwei Leute so viel Lärm machen können“ – dieses Urteil über Bratze, Elektropunks aus dem Norden, ist durchaus als Lob gedacht. Fast schon ein Ausflug in die Gefilde des Mainstream ist die Band Abby, eine Berliner Mischung aus Indiepop mit Rave, zeitgemäße Tanzmucke, die immer abgeht. Auch Independent, aber aus der ganz anderen Ecke, ist das Trio Young Rival aus Kanada. Wunderschöne Harmonien, gitarrenorientierte Schrammelmusik mit Countryeinschlag und einer Vorliebe für „good bavarian beer“, so Sänger Aron D’Alesio.

Spannend wird es am Samstagabend, als Pelzig die Bühne erklimmt. Um die Mitte der 90er Jahre gegründete Ingolstädter Formation war es ruhiger geworden. Doch sollte irgendjemand Zweifel gehabt haben, wurden diese mit diesem Auftritt definitiv ausgeräumt. Pelzig ist gut, sehr gut sogar. Der Alternative Rock des Quartetts hat nichts von seiner brachialen Härte und seiner Energie verloren, ist roh und kompromisslos.

Den Ausklang des Samstags bestreiten Käptn Peng und die Tentakel von Delphi: Spaß-Hip-Hop mit Gedichten, abgefahrenen Ansagen, Showeinlagen und ungewöhnlichen Instrumenten. Hunderte von Fans singen die zum Teil völlig verschrobenen Texte mit oder tanzen zu den Beats. Sänger Robert Gwisdek ist übrigens der Sohn der Schauspielerin Corinna Harfouch.

Nicht minder umfang- und abwechslungsreich ist das Programm am Sonntag. Simeon Soul Charger machen ehrliche, handgemachte Musik, eine Art Psychedelic Rock des 21. Jahrhunderts. Die vier Cowboys aus den USA leben in Oberbayern und bieten einen phänomenalen Auftritt. Wenig Worte muss man mittlerweile über MC Fitti verlieren. Sonnenbrille und Vollbart sind das Markenzeichen des Berliners, der früher Elektriker war und mit „30 Grad“ seinen ersten Hit landete. Auch sonst war die ganze Bandbreite geboten, wobei hier nur einige genannt werden sollen: bodenständiger Roots Reggae mit Twenty Trees aus Ingolstadt, türkisch-deutscher Rap mit Chefket, moderner Pop mit Wrongkong oder Main Concept, drei Rapper der ersten Stunde aus München oder Beat Thang, ein Künstlerkollektiv im Bereich Hip-Hop und elektronischer Musik, das auch mit visuellen Mitteln arbeitet.