Ingolstadt
Trennkost aus dem Duden

Das Schweizer Duo "Ohne Rolf" beschert dem Publikum in der Eventhalle eine Sternstunde der Ingolstädter Kabaretttage

12.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:31 Uhr

"Ohne Rolf" hat Nachwuchs bekommen. Aber wie erzieht man so einen kleinen "Schreibhals" richtig? Jonas Anderhub (links) und Christof Wolfisberg kommunizieren nur über Plakate und setzen auf "erlesene Komik". - Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Womit nur anfangen? Mit dem gemeinschaftlich intonierten Gospelsong "Kumbaya, my Lord", bei dem das Publikum die jeweiligen Blätter im richtigen Moment in die Höhe hält? Mit Tippex, dem niedlichen "reinrassigen japanischen Kassetter", der so aufgeregt mit seinem Antennen-Schwanz wedelt und sich bei Bedarf in einen Rasierapparat verwandelt? Mit dem Sabotageakt des kleinen "Schreibhals"? Nein, lieber mit dem Anfang. Mit der Namenssuche.

Denn die beginnt mit einem ganz unverfänglichen Blatt, das Jonas Anderhub in die Höhe hält: "Gefällt Dir der Name Philipp" "Nein", heißt es auf dem Antwortblatt von Christof Wolfisberg. "Und Manuel" "Nein." Pascal? Oliver? Nein. Nein. "Hast Du eigentlich nur Nein-Plakate" "Nein."

"Ohne Rolf" nennt sich das Schweizer Duo, das bei den Ingolstädter Kabaretttagen am Freitagabend in der Eventhalle eine ganz besondere Kunstform präsentiert. Eine, die entfernt an Bob Dylans "Subterranean Homesick Blues" erinnert, die man aber so noch nie erlebt hat. Denn Christof Wolfisberg und Jonas Anderhub kommunizieren auf der Bühne nur mittels A1-Plakaten. Sie sprechen nicht. Sie stehen auf kleinen Trittleitern hinter einer Art Pult und blättern abwechselnd ein Plakat nach dem anderen. In zwei Stunden werden so vielleicht 1000 Plakate mit knappen Sätzen, manchmal auch nur mit einzelnen Wörtern, hin- und hergeblättert. Und das Publikum lacht sich schlapp bei dieser "erlesenen Komik". Denn was mit dieser Frage "Gefällt Dir der Name Philipp" so harmlos beginnt, entpuppt sich wenig später als ausgewachsenes Familiendrama. Das Duo hat nämlich Nachwuchs bekommen, sorgt sich um musikalische Früherziehung, Trennkost aus dem Duden und schlägt sich mit dem ganz alltäglichen Erziehungswahnsinn herum ("In drei Minuten ist hier sauber. Aber dalli."). Und dann ist da eben noch diese vermaledeite Namensfrage. Aber der Kleine will nicht nur einen Namen, sondern auch eine Stimme. Sprengt die Vorstellung. Haut ab. Und so bleiben Jonas und Christof allein zurück - ohne Rolf! Was für ein witziges Konzept. So simpel wie genial. Und große Kunst.

Denn natürlich ist das alles bis ins letzte Detail und mit viel Fantasie vorausgeplant und perfekt in Szene gesetzt (Regie: Dominique Müller). Jeder grimmige Blick, jede entrüstete Geste, jeder Tick. Rede und Gegenrede. Herrlich ist diese stumme verbale Rangelei. Köstlich die orthografischen Wortspiele, das Allzu-wörtlich-Nehmen, die Komik zwischen den Zeilen, das Sprengen der Blattgrenzen. Jeder vermeintliche Fehler ist genau gesetzt. Da werden Buchstaben zu Schnurrbärten (um die Autorität zu steigern). Es wird mit Schriftarten und -größen experimentiert, mit Unschärfen und gefetteten Buchstaben. Auch Lautstärke wird visualisiert: je größer und dicker die Wörter, desto schärfer der Ton. Und für Smalltalk zückt Jonas Visitenkärtchen. Es gibt Livemusik und Plastikzungen. Absurdes Theater und Puppenspiel. Zwei Leute aus dem Publikum werden kurzerhand zu Paten ernannt und müssen babysittend weiterblättern, während Jonas und Christof sich einen schönen Abend machen ("Vielleicht hat noch ein Schreibwarengeschäft auf").

All das fügt sich mit Virtuosität und Leichtigkeit zu einer Geschichte, voller überraschender Wendungen, intelligent gemacht, erzählt ohne Stimme, aber mit feinsinnigem Humor. Im Grunde ist es eine Hommage an die Sprache. Philosophisch komisch. Das können nur die Schweizer. Begeisterter Applaus.