Ingolstadt
Pastellfarbene Gefühle

Der französische Countertenor Philippe Jaroussky spricht über Paul Verlaine und sein Gastspiel beim Konzertverein Ingolstadt

27.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:36 Uhr

Ingolstadt (DK) Er zählt zu den großen Countertenören unserer Zeit. Am Donnerstag gastiert Philippe Jaroussky im Ingolstädter Festsaal, um das Programm seines neuesten Albums „Green“ vorzustellen. Dafür hat der Franzose Vertonungen von Gedichten Paul Verlaines zusammengestellt, die um 1900 entstanden sind – darunter von Gabriel Fauré oder Claude Debussy. Nach Ingolstadt reist Jaroussky mit seinem Pianisten Jérôme Ducros, um die klangsinnliche Atmosphäre des französischen „Fin de Siécle“ einzufangen.

 

Herr Jaroussky, warum singen Sie als Countertenor Vertonungen nach Gedichten von Paul Verlaine, die um 1900 entstanden sind?

Philippe Jaroussky: Weil ich einerseits zeigen möchte, dass man auch als Opernsänger perfekt Liederabende geben kann. Andererseits fühle ich mich sehr angezogen von den Verlaine-Vertonungen und dem französischen Liedgesang. In der Oper – zumal im Barock, der für uns Countertenöre natürlich im Zentrum steht – muss man manchmal hysterische Gefühle gestalten. Man tötet, ist eifersüchtig, hinterhältig. In sehr dramatischen Momenten stoße ich bisweilen an Grenzen. Im französischen Lied muss ich hingegen mehr pastellfarbene Gefühle ausdrücken, viel Melancholisches etwa. Als Countertenor mag es eigenartig klingen, aber in diesem Repertoire fühle ich mich heimisch.

 

Dennoch sind die Vertonungen ursprünglich nicht für Countertenöre entstanden. Was erwidern Sie meckernden Puristen?

Jaroussky: Davon gibt es vor allem in Frankreich einige. Ich sage dann immer, dass diese Lieder in erster Linie für Stimmen komponiert wurden, die die Gedichte ausdrücken – nicht mehr und nicht weniger. Warum sollte ein Countertenor dieses Repertoire nicht ebenso ausdrücken können? Und welches Repertoire ist ureigens für Countertenöre komponiert? Im Grunde ist der Countertenor ein sehr modernes Stimmfach – weil es erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Es gibt heute sehr viel junge Komponisten, die an diesem Stimmfach sehr interessiert sind.

 

Andererseits wurden in der Vergangenheit häufig Partien für Kastraten und Countertenöre von Frauenstimmen übernommen. Warum sollen das umgekehrt nicht auch die Countertenöre dürfen und Frauenpartien gestalten?

Jaroussky: Vollkommen richtig, und das wird ja auch bereits getan. Die meisten Gedichte von Verlaine sind aus der Sicht von Männern geschrieben. Es ist oftmals Verlaine selbst, der hier spricht. Von daher ist es nur konsequent, wenn eine hohe Männerstimme die Lieder singt. Für mich sind diese Lieder wie eine Art Intro-spektive, weil ich fühle, wie französisch ich eigentlich bin. Vielleicht ist das vergleichbar mit einem Deutschen, der Schubert-Lieder singt. Man steckt tief drinnen und versteht ganz originär, woraus diese Lieder gebildet sind. Als ich mit „Opium“ das erste Album dieser Art vorgelegt hatte, wurde dies ein riesiger Erfolg – gerade auch in Deutschland.

 

Was macht die Gedichte von Verlaine so musikalisch?

Jaroussky: Manchmal drückt Verlaine in wenigen Versen eine ganze Welt aus. Verlaine bevorzugt die knappe Form, und diese Kürze, in der auf engstem Raum viel ausschattiert wird, ist zugleich die musikalische „Würze“. Auch werden mitunter ein und dieselben Wörter wiederholt. Sie treten in anderen Kontexten auf, mit unterschiedlichen Färbungen, oftmals auch mit ganz subtil verschobenen Betonungen. Das hat rhythmisch interessante Auswirkungen. Vor allem aber erschafft Verlaine auf engstem Raum ganze Welten, was aus meiner Sicht viele Komponisten gereizt hat, diese Gedichte zu vertonen. Und ich liebe es, diese Welt mit meinem Pianisten Jérôme Ducros auszugestalten – wie jetzt in Ingolstadt.

 

Weil Sie im Grunde ein „Kammermusiker“ sind?

Jaroussky: Ja, ursprünglich war ich Geiger und Pianist. Ich singe sehr viel mit Orchestern und das ist ganz wunderbar. Aber wenn man mit Klavierbegleitung singt, hat man alle Freiheiten. Alles ist auf das Wesentliche reduziert. Der Kontakt zwischen zwei Musikern ist viel schneller und direkter, man kann Nuancen schnell verändern – vor allem wenn man sich sehr gut kennt. Jérôme Ducros kennt mich sehr gut, wir kennen uns sehr gut.

 

Inwieweit muss der Klang des Fin de Siècle erst noch wiederentdeckt werden?

Jaroussky: Das gilt generell für viele Epochen. Es gab eine Zeit, da waren die hohen Männerstimmen vergessen. Aber ich glaube, dass beispielsweise ein Gustav Mahler im Finale seiner Sinfonie Nr. 4 den „kindlichen, knabenhaften Ausdruck“ heute wohl mit einem Countertenor besetzt hätte. Und von Richard Wagner wissen wir, dass er für die Rolle des Klingsor aus „Parsifal“ zunächst mit dem letzten großen Kastraten geliebäugelt hat – nämlich Domenico Mustafà.

 

Dann haben Sie ja noch einiges vor sich, oder?

Jaroussky: Natürlich werden die Alte und die Neue Musik für Countertenöre weiterhin das zentrale Repertoire sein. Aber ich bin davon überzeugt, dass heute Countertenöre darüber hinaus Weiteres erschließen müssen – auch ein Repertoire wie auf dem „Green“-Album. Für meine Stimme eignen sich übrigens auch die „Kindertotenlieder“ von Mahler, zwei oder drei habe ich bereits gesungen. Aber wir Countertenöre können ebenso Mozart singen, was ja bereits Kollegen von mir tun – oder auch Belcanto. Dass ein Countertenor am Covent Garden in London auftritt, wäre noch vor einiger Zeit unvorstellbar gewesen. Das technische Niveau ist derart gestiegen, wir können auch dramatisch singen. Ich selbst werde wohl in Zukunft mehr Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel gestalten oder auch Henry Purcell.

 

Das Interview führte Marco Frei.

 

Das Konzert findet am Donnerstag, 5. März, um 20 Uhr im Festsaal statt. Kartentelefon (08 41) 8 81 57 98.