Ingolstadt
Musikalisch niesen

Der Geiger Hugo Ticciati gestaltet mit dem Georgischen Kammerorchester ein fantasievolles Konzert in Ingolstadt

07.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:51 Uhr

Eingebettet in den Klang des Georgischen Kammerorchesters: Solist Hugo Ticciati (vorne) spielt eine Fantasie von Arvo Pärt im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Manchmal kann auch Niesen Musik sein. Jedenfalls, wenn der fulminante britische Geiger Hugo Ticciati auf dem Podium steht. Der 37-Jährige wird nach der sinnlichen und sensiblen Gestaltung von Arvo Pärts Violinfantasie "Vox Amoris" mit Bravorufen gefeiert - und will eine Zugabe vortragen. "Ich habe keine Ahnung, was ich spielen soll", sagt er, "also improvisiere ich." Ein kaum hörbarer Ton dringt in den Saal, dann bewegt Ticciati den Bogen vorsichtig über die anderen Saiten - und es kommt zu dem ungeplanten Zwischenfall: eine Besucherin prustet los, niest. "Perfekt", lobt der Geiger, spielt weiter und ermuntert das inzwischen laut lachende Publikum sogar, noch einmal auf diese Art am entstehenden Werk mitzuwirken.

Die kleine Improvisation passt zum Programm des zweiten Abonnement-Konzerts des Georgischen Kammerorchesters (GKO) im Ingolstädter Festsaal. Der Brite produziert fahle Klänge, schabt eisig am Rande des Stegs, lässt Arpeggier in Zeitlupe verkümmern. Und fügt plötzlich einige Takte einer Bach-Solosonate ein, ebenfalls mit gläserner Trostlosigkeit musiziert. Das alles klingt nach osteuropäischer Musik, die diesmal im Zentrum des Abends steht.

Ruben Gazarian hatte für den Abend Kompositionen der modernen baltischen Komponisten Pärt und Peteris Vasks ausgesucht und sie mit älteren Werken der Tschechen Josef Suk und Antonin Dvorak verbunden. Alle Stücke passen wunderbar zusammen, man spürt förmlich, wie die modernen Fantasien aufbauen auf den älteren tschechischen Kompositionen. Wie hier Volksmusik mit naturhaften Lauten verschmilzt, sich zu einem Nationalgedanken verdichtet im Gewand der klassischen Musiktradition. Anrührende, berührende, manchmal traurige, immer wieder hoffnungsvoll aufleuchtende Musik. Deshalb auch ist es verständlich, dass Gazarian wo immer es geht, die Werke ineinander übergehen lässt.

Der Chefdirigent vollzieht den historischen Entwicklungsprozess gleichsam rückwärts: Am Anfang hört man verdichtet und spröde eine Art Essenz des nationalen Pathos, am Ende in Dvoraks wunderschöner Serenade dessen fast naiven folkloristischen ideellen Ursprung.

Gazarian beginnt das Konzert mit Arvo Pärts "Festina lente", in einer Version für Streichorchester, wobei er auf die wenigen Harfentöne der Komposition verzichtet. Das Stück ist kompositorischer Reduktionismus. Die Streicher, die Gazarian hier im Stehen spielen lässt, kommen mit einem einzigen sich ständig wiederholenden, kurzen Motiv aus, das, teilweise verlangsamt, immer wieder, wie bei einem Teppich neu und anders verwoben wird. Das ist intensiv, hochexpressiv gespielt und spannend zu hören. Ähnlich das nächste Stück, von Vasks erst vor wenigen Jahren komponiert. Die Violinfantasie besteht scheinbar nur aus einer einzigen ewigen Melodie, von suggestiver Schönheit, unendlich mäandernd, vibrierend und sinnlich gespielt von Hugo Ticciati - während das Orchester flüsterleise und geheimnisvoll eine Art Klangraum, eine akustische Resonanz der Geige bildet. Was für ein Abenteuer der verhaltenen Klänge!

Dann geht es weiter zu Josef Suks "Meditation über den altböhmischen Choral ,St. Wenzel €˜ op. 35" - eine Demonstration nationaler Unabhängigkeit, da es sich bei dem historischen Stück um den ältesten Nachweis der tschechischen Sprache handelt. Auch bei Suk ist die musikalische Motivik spröde und zugleich hochromantisch, expressiv aufgeladen. Ein kurzes, intensives Werk.

Und am Ende die berühmte, süffige Serenade von Dvorak. Ruben Gazarian und das GKO vermeiden den allzu schwelgerischen Schönklang, spielen lieber charaktervoll, hochdynamisch und entfalten dabei mit viel Eleganz die traumschöne Walzerseligkeit, das farbige Streichersamt, den Ländler-Charme und bodenständige Volkstümlichkeit. Man spürt: Alles, was an diesem Abend gespielt wurde, hatte seinen Ursprung in diesen graziösen Melodien. Viel Beifall am Ende für ein vortrefflich konzipiertes Konzert.