Ingolstadt
Parforceritt durch die Evangelien

Die ganze Passionsgeschichte für zwei Schauspieler: Niko Eleftheriadis macht aus "Wahrlich ich sage euch ..." einen furiosen Theaterspaß

11.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:42 Uhr

Monumentales Projekt mit minimalen Mitteln: Matthias Zajgier (links) und Marc Simon Delfs sind Theo und Bernhard, die zu zweit die ganze Passionsgeschichte stemmen. Bei der Premiere im Studio gab es begeisterten Beifall. - Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) "Ich will ein Kostüm. Oder ich spiele nicht mehr mit!" Bernhard ist beleidigt. Dauernd stiehlt Theo ihm mit seinen prachtvollen Kostümen die Show. Erst das leinene, strahlend weiße Jesusgewand, dann die kostbare Robe des Oberpriesters und jetzt auch noch das klassische Römeroutfit des Pontius Pilatus samt Tunika und Brustpanzer. Das ist zu viel. Weil Bernhards Boykott tatsächlich das Aus für diesen wichtigen Abend bedeuten könnte, lenkt Theo ein. Aber weil Theo eben Theo ist und schon gar keine Fehler zugeben kann, erfindet er flugs "die berühmte Entkleidungsszene des Pilatus". Und Bernhard rächt sich, indem er ihn dabei ein bisschen drangsaliert.

Bernhard und Theo sind Schauspieler und gerade dabei, den ganz großen Coup zu landen. Sie wollen dem hiesigen Stadttheater das Staatstheater im Herzogskasten entgegensetzen. "Wir sind ein junges, aufstrebendes, dem demokratischen Prinzip verpflichtetes Start-up-Staatstheater, futurologistisch prä- und postmodern ... mit flachsten Hierarchien und durchlässigen Strukturen" - so werben sie für ihr Haus und suchen auf diesem Weg noch Mitarbeiter in allen Bereichen, vom Pförtner bis zum Schauspieler. Denn bislang sind sie nur zu zweit. Theo spielt Chef, Bernhard macht alles andere. Für den Neustart haben sich die beiden die größte Geschichte aller Zeiten ausgesucht - die Passionsgeschichte. Ein monumentales Projekt, das sie mit minimalen Mitteln stemmen wollen. In 90 Minuten. Mit nur zwei Schauspielern. "Wahrlich ich sage euch ..." heißt Patrick Barlows furioser Theaterspaß, der nach dem gleichen Prinzip funktioniert wie schon sein "Messias" - durch heillose Überforderung des Stoffes und der Darsteller.

Nicht nur, weil Theo und Bernhard nicht unbedingt die Charismatischsten oder Talentiertesten ihrer Zunft sind, sondern weil es im Ringen um die prestigeträchtigsten Rollen, die spektakulärsten Kostüme oder den extravagantesten Interpretationsansatz immer wieder zu Reibereien kommt. Macht, Eifersucht, Eitelkeit, Kleingeisterei. Wenn dann auch noch die Chronologie durcheinandergerät und weitere Pannen zu beklagen sind, die die Darsteller zur Improvisation zwingen, ist das Chaos perfekt. Sehr zum Gaudium des Publikums. Niko Eleftheriadis' Inszenierung im Ingolstädter Studio wurde am Freitagabend jedenfalls von Dauer-Gelächter begleitet und am Ende mit minutenlangem Beifall gefeiert.

Die Bühne: eine Wüstenoase mit drei Plastikpalmen und zwei Zelten. Beide Zelte dienen zugleich als Garderobe für Theo (Matthias Zajgier) und Berni (Marc Simon Delfs). Das größere für Theo, sein Ego und seine mannigfaltigen Kostüme, das kleinere für Berni und die ganzen Requisiten - etwa den Thron des Oberpriesters, alle zwölf Apostel-Campingklappstühle fürs letzte Abendmahl und die Trommel für den Galeeren-Ruder-Takt.

Aber bevor das Spiel beginnt, mischen sich Theo und Berni - beide noch im Anzug - unter die Zuschauer, begrüßen sie, verteilen Infomaterial, machen Werbung in eigener Sache. Dann folgt ein offizieller Empfang (von "ein herzliches Herzlich Willkommen!" bis zu "Ich wünsche Ihnen einen anstrengenden Abend") und dann posieren ein stammelnder Gottvater mit weißem Wallebart und der personifizierte Göttliche Funke im gelben Ganzkörperanzug im Stile von Michelangelos "Erschaffung Adams". Das Spiel im Spiel beginnt. Mit Jesus und seinen Jüngern, Maria und Johannes dem Täufer, Pilatus, Reiner und Jairus und einer kompletten Galeerenbesatzung.

Matthias Zajgier und Marc Simon Delfs meistern ihre vielfältigen Aufgaben mit großer Spiellust, Kraft und Kreativität, verleihen ihren Figuren immer neue Ticks und Dialekte, sind aber eigentlich dann am komischsten, wenn sie aus den Rollen fallen und im Eifer der Darbietung zunehmend genervt aneinandergeraten. Wenn gute Schauspieler schlechte Schauspieler spielen, ist das immer ein theatraler Hochgenuss. Hier funktioniert das bestens. Zajgier und Delfs präsentieren ihre Akteure exaltiert und fahrig, ängstlich und mutlos, verwegen und überspannt, aufgekratzt und eigenwillig. Und weil Regisseur Eleftheriadis das Stück nicht nur klug gekürzt hat, sondern auch sehr präzise auf Tempo, Rhythmus, Spannungskurven, Slapstick, achtet, macht der Abend einfach Spaß.

Man merkt, dass Eleftheriadis' Komik an Monty Pythons absurdem, anarchischem Humor geschult ist. Wenn Marc Simon Delfs Maria überm Halva-Topf zetert, erinnert das stark an Terry Jones' Mutter Cohen aus dem "Leben des Brian", und bei Nathanaels Übereifer hat man sofort Michael Palins Hibbeligkeit vor Augen. Aber darüber hinaus gelingen Eleftheriadis und seinem fabelhaften Schauspielduo kühne Kostümschlachten, irrwitzige Details (die vorgedruckten Verträge, die die beiden austeilen, seien einer Lektüre anempfohlen) und pfiffige Bühnenlösungen (z.B. der Kreuzweg!), an denen bisweilen sogar das Publikum mitwirken darf. Alles in allem: respektlos, kurzweilig und ziemlich verrückt.

 

Vorstellungen bis 27. Mai, Beginn jeweils 20 Uhr im Studio im Herzogskasten. Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00.