Ingolstadt
Ingolstadt theoretisch

"Achtung Kultur": Ein philosophischer Salon

17.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr

Ingolstadt (DK) Seit gut zwei Jahren gibt es in Ingolstadt die Initiative "Achtung Kultur". Sie fordert mehr Wertschätzung für die Kultur und befürchtet "eine Marginalisierung" der künstlerischen Arbeit. Aber woran genau lässt sich die Kritik an der Stadtregierung festmachen? Wo liegen die Probleme wirklich? Was lässt sich besser machen?

Viele Kulturinteressierte dachten sich offenbar, ein kluger Mann außerhalb des lokalen kulturpolitischen Getümmels könnte wie ein Katalysator wirken und die kritischen Gedanken formieren. Also luden sie den Münchner Künstler und Philosophen Sinan von Stietencron zu einem philosophischen Salon in der Harderbastei ein. Wie wichtig den Ingolstädtern das Thema ist, ließ sich am Donnerstagabend an der großen Teilnehmerzahl (von mehr als 50 Besuchern) ablesen und den rund zwanzig Institutionen, die als Veranstalter auftraten. Vielleicht hatte der Zulauf aber auch mit dem witzigen Titel des Abends zu tun: "Wenn Ingolstadt meine Nachbarin wäre, würde ich sie zum Kaffee einladen"

Der Titel versprach nicht zu viel. Von Stietencron ist ein eloquenter, sympathischer und unterhaltsamer Referent. Allerdings ist er auch Philosoph mit recht eigenwilligem Gedankengebäude. So war ein Ausflug in theorielastige Höhenregionen ebenso unumgänglich wie leider für den Zweck der Veranstaltung auch weitgehend unnötig. Von Stietencron orientiert sich in seiner Gedankenwelt an den Harward-Philosophen Alfred North Whitehead (1861-1947), dessen Theorie er "Prozessphilosophie" nennt. Nach einer Einführung in dessen Gedankenwelt destillierte der Münchner Zitate aus dem Hauptwerk Whiteheads heraus und entwickelte ein paar Fragestellungen, die mehr oder weniger auch von Belang für mittelgroße "Stadtorganismen" wie Ingolstadt seien könnten.

Wichtiger als alle abgehobenen Theorien waren allerdings die Diskussionen über das Ingolstädter Kulturleben am Anfang und am Ende der mehr als dreistündigen Veranstaltung. Etwa die Titelfrage, ob man mit "Frau Ingolstadt" tatsächlich einen Kaffee trinken gehen wollte, was die bei Weitem meisten Besucher bejahten. Es wurden viele Argumente gewälzt, von ungehobenem Potenzial geredet, eine Besucherin wollte sogar missionieren. Anderen war die Stadt zu konservativ für eine nähere Bekanntschaft, zu uninspiriert. Interessant war, dass niemand auf den Gedanken kam, dass es vielleicht einfach Spaß machen könnte, sich mit "Frau Ingolstadt" abzugeben.

Am Ende des Theorieteils schlug Sinan von Stietencron fast schon unvermittelt eine Diskussion über einen "100-Jahre-Plan für ein kultiviertes Ingolstadt" vor.

Auch wenn der Zeitraum hier sehr großzügig gewählt wurde - der Künstler Werner Kapfer, der den Abend moderierte, merkte an, dass man doch schon sehr beschäftigt sei, die nächsten zehn Jahre zu bewältigen - gerieten die Wortmeldungen lebhaft und vielschichtig. Da wurde von einem Exzellenzzentrum für Reformpädagogik ebenso geträumt wie von einer grünen Stadtentwicklung. Man wollte Abstand nehmen vom Primat des Ökonomischen. Und natürlich sollte Ingolstadt weg vom Image der Autostadt. Die Wortbeiträge standen allerdings weitgehend zusammenhangslos nebeneinander. Zu einer echten Diskussion, zu einem Schlagabtausch kam es nicht. ‹Œ ‹ŒArchivfoto: Kusche