Ingolstadt
Herrn Millers Gespür für Pointen

Der Kabarettist begeistert im Ingolstädter Theaterfestsaal mit dem Programm "Alles andere ist primär . . ."

25.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:44 Uhr

Stuhl, Mimik und Mikrofon: Das ist alles, was Rolf Miller als Requisite für seine Art von Kabarett braucht. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Bei der zweiten Zugabe ist alles klar. Die Nachfrage hätte auch aus dem Ingolstädter Publikum kommen können. Aber Rolf Miller erzählt es lieber selber. „Herr Miller, ich habe nichts kapiert.“ Und Herr Miller antwortet selbst: „Dann haben Sie im Großen und Ganzen alles verstanden.“ Im gut besuchten Festsaal des Stadttheaters am vergangenen Freitagabend wie auch auf allen Bühnen seiner Tour.

Aus dem Nichts zielsicher ins Nichts. „Ja aber das ist das . . .“, wie er zur Einleitung selbst sagt. Das ist Millers Erfolgsgeheimnis (geblieben), seit er seinen vermeintlich einfach gestrickten Provinzler aus Walldürn im Odenwald den Zuhörern die Welt erklären lässt. Dazu braucht er nach wie vor nicht mehr als einen Stuhl, auf den er sich knapp zwei Stunden fletzt, und ein simples Schnurmikrofon. Mit einer Grimasse, einem Abwinken („Einwandfrei“), einem Auflacher („Ähä“), sagt er mehr als andere herumzappelnde Kabarettisten und Comedians zusammen.

Er springt mal wieder wild durch die Welt, die auf einen einprasselt. Nebenwirkung der Fußball-WM vor dem TV („Vier Wochen halbseitig gelähmt“), den Blick zurück in die gelobten 1980er mit „Atzdatz“ (AC/DC) und „Miami Vice“ auf dem Pausenhof („Schulterpolster und Vokoholidingsda“) und anderes. Die Wortdreher, Fehlzündungen in den Gehirnwindungen sind nach wie vor da und sie sind brüllend komisch.

Was früher vornehmlich mit den Geschichten über seine Freunde Jürgen und Achim funktionierte, hat eine neue Dimension bekommen. Seine Figur stellt sich inzwischen über all die Dumpfbacken der Welt. Millers einfältiger Charakter lästert über das Unterschichtenfernsehen („RTL2: Meine Tochter ist mein Kind – Was nun“), die Russen aus der Nachbarschaft („Modern Talking bis um 4 Uhr in der Früh“), Ostdeutsche („Keiner wusste früher, wo Görlitz ist, heute weiß man, das ist in Polen“) oder Sudoku-Macher („Kreuzworträtsel für Leute, die nichts wissen“). Im neuen Programm „Alles andere ist primär“ kommen neben den Dauerprotagonisten Jürgen und Achim erstmals deren Schwester, genannt „Apparat“, („Füße bis zum Hals, und die Stiefel auch“) und eine andere Schulfreundin, die wegen ihrer Stimme „Sirene“ („Reden ist Schweigen, Silber ist Gold“) heißt.

Das bietet viel mehr Raum für die guten alten Mann-Frau-Klischees. Immer wieder gibt Rolf Miller Beziehungstipps. „Warum sind Scheidungen so teuer? Weil sie es wert sind!“ Oder: „Auf jeden Eimer passt ein Gesicht.“ Oder noch besser: „Die meisten Frauen verhüten mit dem Gesicht!“

Doch das ist freilich viel zu kurz gefasst und gedacht. „Es gibt so Leute, die Realität und Wirklichkeit verwechseln.“ In Millers Publikum sicher nicht. Hier ist man mittendrin, statt nur dabei – um auch mal einen geklauten Satz anzubringen –, wenn sich der Stammtischherr über sein Lieblingshobby Fußball, Golf im Fernsehen („Kann ich am besten schlafen“) oder das Frankfurter Türstehermilieu mit Weihnachtsdrogen („Chrischtl Mesch“) unterhält.

Nach der Pause wird die Lachdichte noch einmal deutlich höher. Herrlich spielt Miller mit den Informationsfetzen, die man als einfacher Mensch aus den Medien bekommt, wenn man sich nicht auskennt oder nur mit einem Ohr hinhört. In Millers Welt sind es die „Zipfelgesichter“ wie Wladimir Putin, dem nur mal jemand das Gas einstellen müsste („Nix mehr Promigas“), oder „Standstreifengesichter“ (Edward Snowden), die die Nachrichten dominieren. Der ehemalige Geheimdienstagent arbeitete „drei Jahre bei denen, dann merkt er, mein Gott, ich spionier' ja.“ So lässt sich die NSA-Affäre natürlich auch zusammenfassen. Und warum wird denn nun abgehört: „Weil’s geht!“ Nicht nur hier könnte die Analyse des Herrn Miller nicht treffender sein.

Nix kapiert? Genau das Gegenteil ist der Fall. Rolf Miller lässt das Publikum schlau erscheinen. Nicht nur, weil es sich selbst über den lallenden Odenwälder stellen darf. Was natürlich nur gelingt, wenn man die echten Fakten kennt, gebildet scheint. Dazu reicht meist ein bisschen mehr Allgemeinwissen oder der Funken Hochkultur aus der Schule, an dem Miller ständig scheitern (will), indem er zum Beispiel Goethe zitiert („Wer ist noch so spät durch den Wind . . .“).

Das Publikum spendet großen Applaus. Man sieht sich 2016 wahrscheinlich wieder in Ingolstadt. Dann in der Neuen Welt. Bei Walter Haber. „Bester Veranstalter der Welt“, sagt Miller. Und das ist vollends ernst gemeint.