Ingolstadt
Hermans Welt, unsere Erde

Das Ingolstädter Museum für Konkrete Kunst präsentiert den niederländischen Künstler Herman de Vries

24.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:37 Uhr

Um möglichst verschiedene Erden für Herman de Vries' großes Erdfeld (oben) zu finden, hatte MKK-Direktorin Simone Schimpf den DONAUKURIER und seine Leser um Hilfe gebeten. Aus 70 verschiedenen Erdproben wurden schließlich 15 ausgewählt, die nun Teil des Kunstwerks sind. Die Ausstellung über Herman de Vries (links) "Stein, Erde, Holz" wird an diesem Samstagabend eröffnet. - Fotos: Schwender/MKK

Ingolstadt (DK) Der Mann ist 85 Jahre alt, geschmückt mit einem wallenden weißen Bart bis weit auf die Brust, er läuft überdies gerne nackt durch die Gegend, sommers wie winters. Um die Erde, die es ihm so angetan hat, mit bloßen Füßen zu spüren, um ganz eins zu werden mit der Natur, der er sich verschrieben hat.

Ist Herman de Vries, dieser auch noch LSD-affine Waldmensch, ein Spinner? Ach, alles andere als das! Der Künstler aus Alkmeer, seit bald 50 Jahren im fränkischen Steigerwald daheim, gehört zur Crème de la Crème der Kunstschaffenden, erst 2015 etwa hat er den niederländischen Pavillon auf der Biennale in Venedig gestaltet. Und präsentiert sich und seine Arbeiten nun ausgerechnet - in Ingolstadt. "Stein, Erde, Holz" heißt schlicht die Ausstellung, die an diesem Samstagabend im Museum für Konkrete Kunst eröffnet wird - als, um es vorweg zu sagen, rundum berückende Schau.

Denn de Vries ist als Künstler Naturhistoriker, Dichter und Mathematiker in einem; sein Werk ist analytisch und spirituell, poetisch und sehr konkret. In diesem Spannungsfeld liegen seine Arbeiten: Jene Fundstücke aus der Natur, die der Reisende und Nacktwandernde weltweit findet, von denen er sich finden lässt. Seine Kunst indes: Konsequenz und Kontext. Denn nichts mit mitgebrachten Holzstückchen vom Strand hat sein Werk zu tun. Seit vierzig Jahren, soviel zur Konsequenz, sammelt, archiviert, katalogisiert de Vries Natur (Dokumentationszentrum dazu ist sein "Musée des terres" im französischen Digne les Bains). Und präsentiert sie - Kontext - ausschließlich im musealen Umfeld, in dem er seine Kiesel, Ästchen, seine Erdausstriche in ein komplexes Gesamtkunstwerk überführt. Ein wahrhaft kongeniales Umfeld hat de Vries tatsächlich mit dem Ingolstädter Museum für Konkrete Kunst gefunden!

Denn das Haus präsentiert sich mit "Stein, Erde, Holz" so klar, rein und poetisch, wie man es selten sah. Eine meditative Stille liegt über den beiden oberen Stockwerken, die geprägt sind von den Farben der Natur. Nichts freilich mit Braun (Erde und Holz) und Grau (Stein)! Eine delikate Buntheit herrscht im Raum, ein ruhiges Spiel aus Umbra, Weiß, Rosa, Anthrazit, Violett wird hier gespielt, mehr Farben als Worte gibt es dafür. Das wird gleich beim ersten Schau-Stück klar: Die ganze lange Wand über der Treppe ist bestückt mit "Erdausstrichen": 472 je 25 mal 35 große Blätter hat de Vries mit je 20 kleinen Rechtecken bemalt: mittels angefeuchtetem Finger und selbst oder von Freunden mitgebrachten Erdproben aus aller Welt. Knapp 10 000 (!) unterschiedliche Felder und Farben stehen in serieller Reihung in dieser (erstmals gezeigten) Arbeit, die optisch und sinnlich überwältigt. Die größere Version: "Aus der Heimat" an der Stirnwand im ersten Stock mit 55 großen Erdausstrichen vom Steigerwald, von Weiß bis Dunkelaubergine reicht die pastellene Palette.

Sie ist so erstaunlich wie die des großen Erdfelds auf dem Boden: 15 je 190 mal 90 große, korrekt gefasste Schüttungen zeigen Erden aus der hiesigen Region - wie berichtet gesammelt von Lesern unserer Zeitung. Nun zeichnen schwarzer Moosgrund, weiße Kieselerde oder braune Ackerkrume ein Bild des Bodens, auf dem unsereiner unwissend geht und steht und lebt.

Schauen, vergleichen, eh das Staunen weitergeht. Wunderbar ist die Aufreihung von 36 Eichenstümpfen auf dem Boden, zentrales Element des hinteren Raums im ersten Stock, der mit 62 bedornten Rosenstielen und wenigen arrangierten Hölzern an der Wand atmosphärischer Andachtsraum geworden ist. Später eine Serie von zarten Ästchen in Holzrahmen, Stelen, auf denen Objekte liegen, die kaum erraten lassen, ob Holz oder Stein ihr Wesen ist, ein Bodenfeld aus 135 auf einer französischen Straße aufgetane Steinfindlinge. Es gibt Mauerwerk eines venezianischen Palazzos, Steinchen in Rahmen, aufgespießt wie Schmetterlinge. Es gibt das, was Erde ist und finden lässt. Es gibt also Zufall. Und doch nichts Zufälliges an dieser Schau.

Denn streng und seriell, berechnet und geordnet, im stringenten Kontext stehen die pittoresken Bilder, die gefundenen Skulpturen. So gewinnen sie die Freiheit zu erzählen, wie unsere Erde ist. Hingehen und zuhören!