Ingolstadt
"Heiteitei vor wackeliger Kulisse geht gar nicht"

Julia Mayr, Leiterin des Jungen Theaters Ingolstadt, über gutes Kinder- und Jugendtheater

07.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:43 Uhr

Fünf Jahre Junges Theater Ingolstadt – da kommt einiges zusammen. Herausragend waren die Kinderoper „Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“, das Tanztheater „Ein neues Land“ nach der Graphic Novel von Shaun Tan und „Frau Weiß sieht rot“. - Fotos: Stadttheater

Ingolstadt (DK) Seit fünf Jahren gibt es eine eigenständige Kinder- und Jugendsparte am Stadttheater Ingolstadt. Und genauso lange leitet Julia Mayr (kleines Foto) das Junge Theater, nachdem sie zuvor das Kleine Haus als Experimentierspielstätte für theatrale Formen aller Art etabliert hatte. Für die 36-Jährige gibt es heuer eine besondere Premiere. Denn erstmals inszeniert sie das sogenannte Weihnachtsmärchen im Großen Haus. „Der gestiefelte Kater“ zählt zu ihren Lieblingsmärchen. Premiere ist am 7. November. An diesem Tag geht auch das große Kinderfest zum Thema „Märchenwelten“ im Stadttheater über die Bühne.

Frau Mayr, was hat sich in diesen fünf Jahren Junges Theater verändert?

Julia Mayr: Zunächst mal habe ich mich verändert. Ich durfte in diesen fünf Jahren unser Publikum kennenlernen und kann es insofern besser einschätzen. Ich merke, dass mir die Spielplangestaltung irgendwie leichter fällt. Auch bei der Wahl der Regisseure bin ich sicherer. Mir gefällt die Mischung aus erfahrenen und jungen Regisseuren, handwerklich solidem und experimentellem Theater. Und möglicherweise habe ich zu Beginn mehr mit dem Kopf entschieden als mit dem Bauch. Jetzt mit beidem zusammen.

 

Und das Publikum? Muten Sie ihm mehr zu als früher?

Mayr: Schon der erste Spielplan war mit Stücken wie „Nichts“ und Ovids „Metamorphosen“ sehr anspruchsvoll. Kinder und Jugendliche kann und darf man in gewisser Weise fordern, auch im Theater – das war von Anfang an mein Credo und ist es immer noch. Mittlerweile finde ich es aber ebenso wichtig, dass Leichtigkeit und Humor ausreichend Platz im Spielplan eingeräumt bekommen – ohne den Tiefgang zu reduzieren. Auch hier entscheidet die richtige Dosis.

 

Was ist denn gutes Kinder- und Jugendtheater?

Mayr: Wenn man sein Publikum ebenso ernst nimmt wie die Geschichten, die man ihm erzählen möchte, dann ist vieles möglich. Ein Beispiel hierfür sind die „Superguten Tage“, wo ein flüssiger Plot auf eine experimentelle Form trifft. Ich merke hingegen sofort, wenn ein Regisseur sich an Inszenierungsproblemen vorbeimogelt, weil im Publikum ja „nur“ Kinder sitzen. Wir müssen den höchsten Anspruch stellen an uns. Auch ästhetisch. Schließlich wollen wir Kinder und Jugendliche nicht nur entertainen. Und obwohl manchmal weniger Mittel zur Verfügung stehen als im Abendspielplan: Oberflächliches Heiteitei vor wackeliger Kulisse geht gar nicht. Sieht man dergleichen auf der Bühne, dann hat der Regisseur etwas falsch gemacht.

 

Gibt es denn einen Unterschied zwischen Kinder und Jugendtheater – abgesehen vom Verständnishorizont?

Mayr: Mir macht es Spaß, für die „Kleinen“ zu inszenieren, weil ich mich da selbst kaum einschränke, freier bin, mehr ausprobiere. Kinder nehmen vieles an. Ihre Fantasie ist groß, ihre inneren Bilder sind unfertig. Jugendliche haben oft schon sehr konkrete Vorstellungen. Manche reagieren sogar irritiert, wenn die klassische Bildersprache ausbleibt: Wieso gab’s bei „Don Karlos“ keinen Thron und keine Krone? Das würden Kinder nie fragen.

 

Die wichtigste Position im Spielplan des Jungen Theaters ist ein Auftragswerk über Cybermobbing.

Mayr: Ja, das ist das Ergebnis aus einem Lehrergespräch, das vor ein paar Jahren stattfand und in dessen Verlauf der Begriff Cybermobbing gleich mehrfach genannt wurde. Man überlegte, wie das Thema jenseits psychologischer Gesprächsangebote und entsprechendem Präventivtheater zu behandeln sei. Es gibt meiner Meinung nach wenige künstlerische Auseinandersetzungen, die einen anderen Blick auf dieses Phänomen riskieren. Ab da war Cybermobbing in unseren Köpfen, wir haben zahlreiche Bücher und Stücke gelesen, jedoch nichts wirklich Überzeugendes gefunden: alles sehr vorhersehbar und sprachlich eher konventionell.

 

Aber dann sind Sie fündig geworden?

Mayr: Nein. Wir haben das Stück als Platzhalter auf den Spielplan gesetzt, ohne zu wissen, was es wird. Zunächst dachten wir an eine Stückentwicklung und suchten uns dazu eine Patenklasse am Reuchlin-Gymnasium. Später fanden wir in Yvonne Groneberg eine junge Regisseurin und in Marion Bott eine junge Autorin, die für die Sache brannten. Beide sind vertraut mit der Welt der „digital natives“ und sehr nah dran an den Jugendlichen. Mittlerweile ist das Stück fertig – und wir sind begeistert. Inhaltlich wie sprachlich.

 

Brauchen die Erwachsenen eine spezielle Einführung?

Mayr: Ganz sicher nicht. Es ist eine tolle Geschichte mit tollen Figuren. Während unserer Recherchen sind wir auf ähnliche Muster und Personen gestoßen. Gott sei Dank wedelt der Text nicht mit dem pädagogischen Zeigefinger, sondern  erzählt gleichermaßen von Leid und Lust im Leben jugendlicher sozialer Netzwerker. Genau hier liegt die Gefahr.

 

Passiert es häufig, dass Sie Input von Schulen bekommen?

Mayr: Wir fragen oft nach, was Lehrer und Schüler bewegt, können jedoch nicht alles umsetzen. Ein ganz großes Thema ist beispielsweise die Sucht. Dazu fällt uns momentan nichts Konkretes ein, aber es bleibt gespeichert. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Schüler- und Lehrerwünschen. Die wollen nicht immer das Gleiche sehen. (Sie lacht.)

 

Sie haben mit „Der Junge mit dem Koffer“ eine Flüchtlingsgeschichte auf den Spielplan gesetzt. Das richtige Stück zur richtigen Zeit. Hat sich die Krise damals schon angedeutet?

Mayr: Das Stück stand schon länger auf unserer Liste. Zum Zeitpunkt der Programmgestaltung begann es plötzlich, omnipräsent zu werden. In den Medien. In der Stadt. Es gibt zu diesem Thema aktuell übrigens weitere Planungen im Haus, etwa die „Bar Internationale“ im Foyer der Werkstattbühne, außerdem Ideen für die Spielklubs. Vielleicht wäre selbst das Projekt „Babytanz“ gut geeignet, weil hier keinerlei Sprachbarrieren existieren.

 

Wie weit ist der „Babytanz“ gediehen?

Mayr: Mit der Entwicklung wurde bereits vor den Ferien begonnen. Es ist schließlich unser neues interaktives Format für die Allerkleinsten ab drei Monaten: Vier Performer agieren in wechselnden Konstellationen und gelangen über kleine tänzerisch-musikalische Improvisationen in Kontakt zu Babys und Eltern. Der erste Testlauf verlief gut. Eine Ausstatterin kümmert sich jetzt um den ästhetischen Rahmen. Und: Es geht noch um die passende Musik. Geplant ist eine Kooperation mit Musikern des Georgischen Kammerorchesters. Der erste Tanz ist für den 21. November angesetzt.

 

Aber vorher gibt es noch das große Kinderfest am 7. November.

Mayr: Das fünfte mittlerweile. Es findet zur Premiere des „Gestiefelten Katers“ statt. Schon letztes Jahr hat sich gezeigt, dass es gut ist, beide Ereignisse zusammenzulegen. Diesmal stellen wir das Fest unter das Motto „Märchenwelten“ und wollen unter anderen auch arabische, syrische und afrikanische Märchen präsentieren. Dabei denken wir an einen Jahrmarkt der Fantasie mit Märchenzelten, Bastelecken, Hausführungen, Spielwiesen, Kinderschminken und viel Musik. Selbstverständlich haben wir auch eine Band: Suli Puschban und die Kapelle der guten Hoffnung aus Berlin: sehr lustig, hintergründig und gut.

 

Das Gespräch führte Anja Witzke.